Der Misanthrop No 4: "Von der unheiligen Nacht"



Lange schon habe ich mich nicht mehr zu Wort gemeldet. Warum denn auch? Die Welt ist heil für meinen Begriff. Bomben fallen allerorts, das Menschengeschlecht bemüht sich um seine Vertilgung von dieser Erde. Nicht sprachlos, sondern zufrieden bin ich. Zufrieden über die Bestätigung meiner finsteren Sicht auf das Menschseins. Und der Zufriedene hat weiter nichts zu sagen, als dass er zufrieden ist. Vollends glücklich könnte ich demnach sein, gäbe es nicht diese vermaledeite Weihnachtsnacht, die da trieft vor Sentimentalitäten und mich emotionell belästigt. Ein gar sonderbares Kompendium von verqueren Gefühlslagen fließt an diesem Abend in sich zusammen, und wo sich noch Glück in Kinderaugen wiederspiegelt, ist es ein Glück zeitlicher Verlorenheit, das sich in späteren Jahren als schmerzliche Erinnerung an verlorenes Glück wiedermeldet. Es ist das Wesen allen Glücks sich im Laufe der Zeit in Unglück – in unglückliche Rückschau – zu verwandeln, und das vor allem dann, wenn der Glückstag in regelmäßigen Intervallen unabwendbar immer wiederkehrt. Eigenartig ist mir diese Neigung des Zweifüßlers zur Einrichtung depressiver Stimmungslagen. Er fügt sie kultisch in sein Kalendarium ein, auf dass er nichts davon je wieder missen müsse. Statt nach freudiger Laune im Hier und Jetzt zu trachten, hält er sich den periodischen Jammer in Gebrauch. Es liegt mir fern, irgendjemandem irgendetwas auszureden oder zu vermiesen. Ich frage mich nur, warum tut man es sich Jahr für Jahr immer wieder an? Es ist keine heilige Nacht, deren Schwärze der Menschen Gemüt für Wochen in rastlosem Warenerwerb verdunkelt und solcherart Profitraten rasch vor Bilanzstichtag noch hochschnellen lässt. Besinnungsloses Abhetzen bis zum letzten Augenblick macht sich breit, so lang, als bis dann der Abgehetzten Leiber abgekämpft um belichtetes Todholz schlaff in sich zusammensinken und jener kraftlose Friede einkehrt, der jeder blindwütigen Raserei nachfolgt. Ja, die Weihnachtsnacht, sie ist die finsterste unheiligste Nacht im ganzen langen Menschenjahr. Und der (Un)Geist dieses Brauchs gewährt selbst noch dem Enthaltensten kein Entrinnen. Wie auch immer man diese Nacht zum 24. Dezember begeht, sie drückt auf das Gemüt. Und mag man einmal Glück verspüren, so sei gewiss, das nächste Weihnachtsfest wird dieses Glück in eine unglückliche Erinnerung an vergangenes Glück verwandeln. Ist´s der Brauch sich zu peinigen, bleibt´s der Brauch und wird´s auch im Morgen noch der Brauch sein. Soviel ist gewiss. Herzlichst, Ihr M.