Der Misanthrop No 18

Geselligkeit und Spiel


"Fein sein, beieinander bleiben." So lauten Titel und Refrain zu einem beliebten alpenländischen Volkslied, auf das - so wage ich zu behaupten - wohl jeder Zeitgenosse von wirklich feiner Gesittung immer schon mit geradezu körperlichem Unbehagen reagiert haben sollte. Anders scheint es mir zumindest kaum vorstellbar, zumal eine aufreizend dumpfe Gemütlichkeit aus dieser Verszeile spricht, welche mit einlullender Tongebärde zu einem gemeinsamen Verweilen im Zustand der Uneigentlichkeit verleitet; zum Sumpern in geselliger Runde sozusagen. Zumal der schmeichelnde Gesangstext besingt eben nicht ein schöpferisches, sondern ein lediglich konventionelles Miteinander. Also Geselligkeit, denn so nennt man nun dieses vorgeblich zwanglose und doch so oft erzwungene und noch viel öfter zermürbende Beisammensein, dessen Grundtenor - nach Auffassung des Misanthropen - in aller Regel die übel bekommende Melange aus einem gleichermaßen nervösen wie nervenaufreibenden Gerede, Geschrei und Gelächter ist. Gewahrt man sich dieses in innerer Vorstellung, möchte einen ein Widerwillen packen, doch wir wollen uns lieber fassen, uns hiermit zur Sache angemessen verhalten und sie - die Geselligkeit - als gesellschaftlich vermitteltes Institut zur Verletzung natürlicher Souveränitätsrechte des Einzelnen mit gegenständlicher Schrift an den Pranger stellen. Wir werden ihr verderbliches Wesen in Grundrissen aufklärend zu erhellen trachten und abschließend eine im Kulturgut der Menschheit literarisch bereits illustrierte und wohl allenfalls auch realisierbare Praxis zu ihrer - der Geselligkeit - Veredelung im Spiel anrühren, was einen Hoffnungsschimmer zeitigt, jedoch bei aller nüchterner Betrachtung noch nicht Anlass zu freudiger Euphorie sein kann, zumal - so lehrt es die Lebenserfahrung - nur Wenigen deren faktische Machbarkeit offen steht. Setzt dieser prozessuale Akt einer dialektischen Aufhebung von Geselligkeit doch allemal eine weitgehende Überwindung der standardisierten Fassung von Mensch zwingend voraus.

Wer nun das Menschentier von seiner langweiligsten und zugleich lästigsten Seite kennen lernen möchte, dem sei empfohlen - entgegen jeder dringend gebotenen Vorsicht - eine nähere Bekanntschaft mit diesem anzustreben. Wobei er nicht allzu wählerisch vorgehen sollte, denn das Gesellige ergibt sich vorzüglich aus dem wahllosen Zugriff, hingegen eine zu fürsorgliche Auslesepraxis im zwischenmenschlichen Umgang die mutwillig verfolgte Absicht einer Vergeselligung schon im Vorfeld gefährden könnte. Das Vorhaben dürfte sodann nicht allzu schwer zu bewerkstelligen sein, denn allemal sind die Menschen in ihrer sozialen Bedürftigkeit – vor allem der quälend empfundenen Langeweile wegen - auf der Suche nach ihresgleichen, in der kaum unterschwellig bewussten Absicht, den anderen mit trivialstem Geschwätz zu belasten. Geselligkeit gilt als eine löbliche Umgangsform und geächtet wird folglich, wer sie nicht als Ausdruck einer gemütlichfreundlichen Lebensart zu schätzen weiß. Wer nun also in einer gesellig versammelten Runde durch sein grimmiges Schweigen negativ auffällt, derart fortgesetzt gar starrsinnig ein Einstimmen in das ewige Geplapper über Nichts und Nichtiges verweigert, wer sich des Weiteren vornehm und immerzu des seelenlosen Gelächters enthält, welches oft nicht mehr als eine kumpelhafte Quittierung ebenso geistloser wie bösartiger Scherze zur Schau trägt, wer somit in dieser Atmosphäre nachlässiger Ausgelassenheit ernsthaft bleibt, weil er in all dem Treiben für sich keinen Grund zur Ausgelassenheit erkennen kann, vielmehr ihm - angewidert von so viel Niedrigkeit - um seine Selbstwürde bange ist, was ihn schamhaft verstummen lässt, der gilt als ungesellig und solcherart als verdächtig arrogant. In diesem Maße unkooperativ, wie er sich zum Ärger der Geselligen verhält, versündigt er sich gegen den Gemeinschaftssinn, denn wir leben in einer Zeit, in welcher der vorgeblich antiquierten Idee des allein für sich hingegebenen Einzelnen längst schon entsagt worden ist und an die Stelle eigenverantwortlicher Individualität und Werkstreue eine unausgegorene Idee der Menge und Vermengung gesetzt ist, welche man - ob der hierfür erforderlichen Zusammenrottung von Menschentieren zur amorphen Masse - je nach Belieben zutrefflich als "Rotte" oder als "Meute" bezeichnen mag.

Die neuerdings als gesellschaftliche Tendenz unübersehbare Praxis einer bürokratisch verordneten Vergeselligung zur Rotte scheint auf durchaus artgerechte Weise mit einem zeitlosen Wesenszug in der Natur des real existierenden Menschen zu korrespondieren. (Die Idee stimmt mit dem Elend überein; und nur der Visionär zweifelt noch daran.) Der Mensch nämlich geriert sich in der Verfolgung seiner privaten Interessen ohne Unterlass als geselligkeitsbedürftig. Bei jeder auch noch so unpassenden Gelegenheit rottet sich nun also das Menschengetier zusammen, um sich zueinander zu gesellen, jawohl sie - die Menschentiere - lagern sich um Tische, lassen sich bewirten, auf dass die Zeit sich kurz weile, versuchen sich unterhaltsam zu geben, sitzen also beieinander, redend, ohne dabei etwas zu sagen, was es wert wäre, gesagt zu werden, denkend, natürlich ohne zu denken, produzieren Stimmengewirr, lachen um des Gelächters willen, sind derb und roh, zuweilen zum Grölen aufgelegt, wie es dann auch in grausameren Fällen unüberhörbar zu vernehmen ist. Man möchte dann flüchten, doch lagert sich einem dabei die besorgte Frage in den Weg, ob es denn nicht gefalle und ob man sich denn nicht amüsiere. Und aus verlogener Höflichkeit spricht man Worte der Lüge, vor dem Anderen und vor sich selbst, will heißen, man gibt ein Bekenntnis zur eigenen Niedrigkeit ab und verbleibt "durchaus gerne" noch ein Weilchen in jener geselligen Runde, die dem Angehaltenen mittlerweile aber nur insgeheim schon geradezu körperliche Zustände der unwohligen Art verursacht. Man bleibt allemal länger, als man zu bleiben wünscht. Man wird dazu genötigt. Und man lässt sich nötigen, wie die Höflichkeit es eben gebietet.

Anlässe zur Festivität sind der Geselligkeit wegen allseits beliebt. Also jene, zu welchen man feierliche Rituale begeht, etwa zum Zwecke der Verehelichung, einer Lobpreisung oder einer Jahrestagsfeier, et cetera. Man wird trotz des Rufs kultivierter Ungeselligkeit geladen und der erste Schrecken dazu lauert allgegenwärtig im Postkasten, den es - so wünschte man gelegentlich - am besten für immer zu verrammeln gälte. Es ergeben sich sodann Gesellschaften, die in aller Regel nur eines außer Acht lassen: den Geist. Denn zumeist geistlos geht vonstatten, was dann zur Inszenierung gelangt. In der Gruppe sinkt das Niveau ab, tief und tiefer, und der Betrachter gewahrt staunend den Verfall von Anstand, Haltung und Charakter im Gehaben der anderntags vielleicht sogar respektablen Einzelperson. Schwerfälligkeit bestimmt das Geschehen; man trinkt und speist, doch dieses in wenig kultivierter Manier, mit zuweilen geringerer Eleganz als es beim Tier üblich ist, welches säuft und frisst. Und da alles Tun dem Sexus zugeneigt, ergreift in feuchtfröhlicher Gesellschaft so mancher die Gelegenheit zur ungenierten Balz in Richtung des anderen Geschlechts, was freilich dem Niveau meistens nicht wohl bekommt, da zwanghaft männliches Imponiergehaben und vorlaut - vor allem also laut - nach Aufmerksamkeit heischende weibliche Koketterie die Brunftfolgen sind, womit jedoch zumindest die animalische Bestimmung des Menschen nicht verleugnet wird. Behäbige Körper brüten alsbaldig gar hässliche Unlaute aus, die jedoch dem Mund entspringen, fürwahr, der Mensch erklimmt im spaßigen Beisammensein den Zenit seines Unsinns. Verkommen ist, was doch nach Gottes Ebenbild geformt sein sollte.

Was ich denn nun beklage, ist eine Eigenheit des Menschentiers, wie sie sich ansonsten nirgendwo in der Natur dergestalt findet. Sich zur Geselligkeit zusammenballen um der gemeinschaftlichen Erstarrung wegen, also nicht um lustvoll zu tollen, sondern um soziale Geräusche zu produzieren, deren hauptsächliche Konsequenz die Vertreibung jeder stillen Besinnlichkeit und die Ächtung allen Tiefsinns ist, das ist einzigartig im Kosmos des Lebendigen. Der Mensch in seinem Bemühen um eine mehr oder weniger freundliche Belästigung des Mitseienden manifestiert einen Wesenszug, der einem jeden unverfälschten Lebewesen unbegreiflich bleiben muss. Man beobachte nur einmal vergleichsweise Hunde, Katzen oder auch Zootiere in ihrem sozialen Verhalten. Sie liegen beieinander, ohne einander lästig zu werden, oder sie spielen miteinander - körperbetont; wie es eben so ihre Art ist. Der bewegte Leib schwätzt nicht unsinniges Zeug, er erfreut sich seines spielerischen Vergnügens und ist hierin Ausdruck einer lebendigen Vernunft. Ein Verhaltensmuster, das auch dem Menschenkind noch nicht fremd ist, wenn es sich herumtollend auslebt, derweilen seine Eltern, die sich als gereift wähnen, um einen Tisch lungernd auf verderbliche Weise gesellig sind und dabei genau genommen nichts tun, was Freude und schöpferische Kraft verströmt. Mit der Sicherheit eines routinierten Rituals, das vor allem aus langweiligem Geplauder besteht, vertreiben sie sich die Zeit. Man nennt es Unterhaltung, doch ist es eben nur ein Vertreiben von Zeit, von kostbarer, weil unwiederbringlicher Lebenszeit, deren Urgrund - die alten Menschheitsmythen berichten davon - göttlicher Natur ist. Aus dem Gefühl der Langeweile heraus Lebenszeit zu verschwenden ist eine äußerste Eskapade, zu der nur Menschen befähigt scheinen. Zugleich ist es eine Absage an das eigene göttliche Wesen und an jegliche Vorstellung von Göttlichkeit, dessen wesentliches Merkmal die Zeit ist - wenn auch erweitert und übertragen im Sinne einer Vorstellung von Ewigkeit.

Mit diesen Worten sei jetzt nicht bezweckt, das soziale Wesen des Menschen generell in Abrede zu stellen oder die Lebensnotwendigkeit solidarischen Kooperierens auch nur zu hinterfragen, denn zweifellos, dass der Mensch als Mängelwesen des Menschen bedarf um einfach und bequem durch sein Leben zu kommen - um überhaupt zu überleben - , ist eine unabänderliche Tatsache, über die es sich nicht gut streiten lässt. Der Andere ist mir nicht nur eine Lästigkeit, er ist mir ebenso ein Helfer, und wer meint, vernünftiger- oder auch zweckmäßigerweise im Egoismus sein Heil zu suchen, verkennt die Logik des Lebens und scheint mir elendiglich zugerichtet in seinem Weltverhältnis.
Und freilich, das unvermeidliche Miteinander will gepflegt sein, bedarf eines emotionalen Kitts. Zudem ist dieses Miteinander per se nicht einmal durchwegs von üblem Charakter, sondern stupid ist lediglich die verstörende Art und Weise, wie es üblicherweise zelebriert wird - als niedere Lebensart, die es dem Spießer gestattet, ohne Schaden an seinem Ruf die sprichwörtliche Sau raus zu lassen, und die es rechtfertigt, belangloses Gelaber als anregende Unterhaltung auszugeben. Wer sich nun - seiner sensiblen Gemütsart wegen - nicht in diese Inszenierung lärmender Flüchtigkeiten mit Herz und Seele einfügt, erlebt dann wohl zwangsläufig die Stunden der Geselligkeit als Schändung seiner Person.
Dem muss allerdings nicht allenfalls so sein. Immerhin weiß die Geistesgeschichte der Menschheit überaus gelungene Beispiele geselligen Beisammenseins anzuführen, deren wohl prominentestes in Platons "Symposion" erzählender Weise nachempfunden wird. Platon beschreibt hierbei ein Gelage, im Rahmen dessen sich die eingefundenen Gäste dem Trunk edler Säfte und der feinsinnigen Rede widmen. Was dieses geistvolle Miteinander nun auszeichnet ist sein spielerischer Charakter. Die Geisttrunkenen spielen mit Worten, mit Gedanken und Ideen, lassen der Fantasie auf intelligente Weise freien Lauf. Hier wird gespielt und solcherart Bleibendes geschaffen, das einer späteren Erinnerung würdig ist. Wie denn auch Platon aus der Erinnerung berichtet. Der Umtrunk entfaltet sich zu philosophischem Format, zu einem Geschehnis, das anregt und nicht - wie gewöhnlich - entnervt. Und wer ist der Herr und Gebieter des illustren Treibens? Gott Eros der Herr und Gebieter ist - er ist es, der in seiner bestimmenden Gegenwärtigkeit die Rede der Anwesenden im Sinne einer Liebe zur philosophischen Erkenntnis von Welt inspiriert.

Geselligkeit ist demnach nicht gleich Geselligkeit - und Mensch ist nicht gleich Mensch. Es gilt also besser jene zu meiden, die ihr Leben für Nichtswürdiges vergeuden, welche immer nur gelangweilt sind und dabei immer tiefer sinken, und es gilt die Nähe jener zu suchen, die Kind und Tier geblieben und doch und gerade deswegen geistvoll geworden sind, welche von Augenblick zu Augenblick Spielende sind - fröhlich Spielende auf ihrem Weg des Fortschreitens zu dem Begriff eines über jeden vergrämten Biedersinn erhabenen Menschentums. Homo ludens, der spielende Mensch, ist als Idealtypus gedacht reine Schöpferkraft - seine vornehmste Tugend ist der blinde Wille zur Selbstüberwindung dessen, was für gemeinhin in alltäglicher Wirklichkeit als Mensch erlebt und erkannt wird. Sein Spiel ist - als praktizierte Geringschätzung herkömmlicher Umgangsformen - nach dem Muster einer kynischen Provokation zu begreifen und solcherart eine unablässige Subversion alltagsweltlicher Lebensauffassungen. Homo ludens strebt in seiner sozialen Bedürfnislosigkeit nach autarker Glückseligkeit jenseits des Übels, das die Vielen sind. Doch dieses - wie gesagt - in flexibler Manier, denn in Erkenntnis der gängigen Banalität menschlicher Geselligkeit sollte sich der Misanthrop seine Vereinsamung zwar zur lieben Gepflogenheit machen, doch dieses nicht in der Gestaltung eines asketischen Eremiten, welcher für sich eine Strategie prinzipieller Weltenthaltung zur soziophoben Gestik ritualisiert, aus der es kein Entrinnen mehr gibt.

Obgleich die volkstümliche Auffassung wie ebenso die Etymologie des Wortes "Misanthropie" irrig in Richtung Menschenhass und Menschenscheu verweisen, so sollte die wesenseigentliche Attitüde des Misanthropen doch niemals kurzschlüssig als pathologischer Charakterzug oder auch nur als vorübergehende übellaunige Verstimmung über das Gattungswesen Mensch verkannt werden. Denn jene Übellaunigkeit und Soziophobie sind banale Gemütslagen, gespeist aus der Verbitterung über ein verdrießliches Schicksal und nicht - wie im Falle der Misanthropie - aus einer verständigen Erkenntnis der menschlichen Natur zu Wort gebracht. In weiterer Folge gebiert sich oft und gerne aus diesem völlig verkehrten Begriff von Misanthropie jene noch weitaus mehr verkehrte und zum Sozialkitsch neigende Spezies von Philanthropen, die nun - ihrer Verzagtheit am Menschen plötzlich überdrüssig - als peinliche Konvertiten mit dummem Gerede ihre einstige Misanthropie rückblickend schlecht machen.
Genug der Worte zu diesem falschen und eher noch volksdümmlichen denn volkstümlichen Begriff von Misanthropie, der leider epidemisch durch hohle Köpfe geistert. Misanthropie ist eben eher ein Zustand der Trauer um die vergebliche Göttlichkeit des Menschentiers und nicht eine Gemütsverstimmung, sondern eine Gemütsverfassung philosophischer Melancholie, welche auf die keineswegs verhärteten, sondern vielmehr entspannten Gesichtszüge des Misanthropen ein freundliches Lächeln zaubert. Jawohl ein freundliches Lächeln und nicht ein griesgrämig verzerrtes Grinsen, denn die Schönheit der Erkenntnis stimmt friedlich und heiter, zu einer heiteren Melancholie philosophischen Naturells, welche eine vita contemplativa ist - versunken, beschaulich, sinnlich. Melancholie? Die Schwermut freilich ist dem Misanthropen in sein traurig lächelndes Gesicht gezeichnet. Und zu dieser Melancholie besteht auch jeder Anlass, denn der Mensch, das Geschöpf mit den größten Möglichkeiten zur Veredelung des Daseins, nützt seine Wirkmacht in völliger Missachtung jeglicher Wünschbarkeit - in nihilistischer Eigenart - zur Verpestung dieser Erde und ist somit der Welt - im Großen wie im Kleinen - ein bleibendes Unglück, das je mehr es wuchert, desto schlimmer für den Planeten wird. Weshalb übrigens der - gewiss utopische und zuweilen böswillig als ökofaschistisch diffamierte - Gedanke eines freiwilligen Abgangs der Gattung Mensch (im Sinne eines Fortpflanzungsverzichts und einer sukzessiven Entsiedelung von Lebensräumen) in der Tat von sittlicher Größe zeugt. Dieser Gedanke einer freiwilligen Entsiedelung (im Umkehrschluss eine Renaturisierung) von Lebensräumen sollte uns folglich als ethische Leitidee in unserem Tun und Lassen eine verbindliche Handlungsanweisung sein. Global und lokal gedacht.

Aus dieser - wahrlich ökologischen - Gemütsethik, welche hiermit zum philosophischen Charakter wirklicher Misanthropie ausgeführt ist, resultiert für den Einzelnen in letzter Konsequenz das Gebot (bzw. die Empfehlung) einer Lebensführung im Abseits geselligen Trubels, doch dieses nicht in der Manier eines verbitterten Griesgrams, sondern als ein jenseitig Spielender, der um seine vereinzelte Stellung im Leben weiß und sich über die spielerische Gestaltung seiner Eigentlichkeit als verhaltener Widerspruch zur Uneigentlichkeit einer alltagswirklich typisierten Norm von Mensch manifestiert. Homo ludens ist der abseitig Spielende, abnorm, weil ver-rückt, da ihm erst die abwegige Irrsinnsfigur des (übrigens gutartigen) Ver-rückten ein In-der-Welt-Sein als ureigentliche Schöpferkraft erschließt. Als ein Mensch, der sich seines eingeborenen Potenzials gewahr ist - so wie es ihm sein Lebensgewissen als Lebensschuld gebietet. Nicht weniger, aber auch nicht mehr als dieses ist der Misanthrop in spielerischer Gestalt.

(Misanthrop; November 2004)