... aus "Leonce und Lena" von Georg Büchner ...

Erster Akt
Fünfte Szene
Ein reichgeschmückter Saal. Kerzen brennen.
Leonce (mit einigen Dienern).

Leonce. Sind alle Läden geschlossen? Zündet die Kerzen an! Weg mit dem Tag! Ich will Nacht, tiefe ambrosische Nacht. Stellt die Lampen unter Kristallglocken zwischen die Oleander, daß sie wie Mädchenaugen unter den Wimpern der Blätter hervorträumen. Rückt die Rosen näher, daß der Wein wie Tautropfen auf die Kelche sprudle. Musik! Wo sind die Violinen? Wo ist Rosetta? Fort! Alle hinaus!

(Die Diener gehen ab. Leonce streckt sich auf ein Ruhebett. Rosetta, zierlich gekleidet, tritt ein. Man hört Musik aus der Ferne.)

Rosetta (nähert sich schmeichelnd). Leonce!
Leonce. Rosetta!
Rosetta.
Leonce.
Leonce. Rosetta!
Rosetta. Deine Lippen sind träg. Vom Küssen?
Leonce. Vom Gähnen!
Rosetta. Oh!
Leonce. Ach Rosetta, ich habe die entsetzliche Arbeit ...
Rosetta. Nun?
Leon. Nichts zu tun ...
Rosetta. Als zu leiben?
Leonce. Freilich Arbeit!
Rosetta (beleidigt). Leonce!
Leonce. Oder Beschäftigung.
Rosetta. Der Müßiggang.
Leonce. Du hast recht wie immer. Du bist ein kluges Mädchen,
und ich halte viel auf deinen Scharfsinn.
Rosetta. So liebst du mich aus Langeweile?
Leonce. Nein, ich habe Langeweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr seid eins. O dolce far niente, ich träume über deinen Augen, wie an wunderheimlichen tiefen Quellen, das Kosen deiner Lippen schläfert mich ein, wie Wellenrauschen. (Er umfaßt sie.) Komm, liebe Langeweile, deine Küsse sind ein wollüstiges Gähnen, und deine Schritte sind ein zierlicher Hiatus.
Rosetta. Du liebst mich, Leonce?
Leonce. Ei warum nicht?
Rosetta. Und immer?
Leonce. Das ist ein langes Wort: immer! Wenn ich dich nun noch fünftausend Jahre und sieben Monate liebe, ist´s genug? Es ist zwar viel weniger, als immer, ist aber doch eine erkleckliche Zeit, und wir können uns Zeit nehmen, uns zu lieben.
Rosetta. Oder die Zeit kann uns das Lieben nehmen.
Leonce. Oder das Lieben uns die Zeit. Tanze, Rosetta, tanze, daß die Zeit mit dem Takt deiner niedlichen Füße geht.
Rosetta. Meine Füße gingen lieber aus der Zeit

(Sie tanzt und singt.)

            O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
            In bunten Schuhen,
            Und möchtet lieber tief
            Im Boden ruhen.

            O meine heißen Wangen, ihr müßt glühn
            Im milden Kosen,
            Und möchtet lieber blühn -
            Zwei weiße Rosen.

            O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
            Im Strahl der Kerzen
            Und schlieft im Dunkel lieber aus
            Von euren Schmerzen.

Leonce (indes träumend vor sich hin). Oh, eine sterbende Liebe ist schöner als eine werdende. Ich bin ein Römer; bei dem köstlichen Mahle spielen zum Dessert die goldnen Fische in ihren Todesfarben. Wie ihr das Rot von den Wangen stirbt, wie still das Auge ausglüht, wie leis das Wogen ihrer Glieder steigt und fällt! Adio, adio, meine Liebe, ich will deine Leiche lieben.

(...)

Leonce. Ein sonderbares Ding um die Liebe. Man liegt ein Jahr lang schlafwachend zu Bette, und an einem schönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Wasser, zieht seine Kleider an und fährt sich mit der Hand über die Stirn und besinnt sich - und besinnt sich. Mein Gott, wieviel Weiber hat man nötig, um die Skala der Liebe auf und ab zu singen? Kaum, daß eine einen Ton ausfüllt. Warum ist der Dunst über unsrer Erde ein Prisma, das den weißen Glutstrahl der Liebe in einen Regenbogen bricht? - (Er trinkt.) In welcher Bouteille steckt denn der Wein, an dem ich mich heute betrinken soll? Bringe ich es nicht einmal mehr so weit?


(Georg Büchner; 17.10.1813 - 19.2.1837)
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