Die Kirschenpflückerin
(Auszug)

(...)
Wir zitterten wie Maienblätter,
Und wußten nicht warum;
Wir stammelten von Saat und Wetter,
Und saßen wieder stumm,
Und horchten auf die Melodien,
Die Kibitz und Rohrdommel schrien.

Jetzt kühner, stört´ ich sie im Stricken,
Und nahm ihr Knaul vom Schoß;
Doch herzhaft schlug sie mit dem Sticken
Auf meine Finger los:
Und als sie hiermit nichts gewann,
Da setzte sie die
Zähnchen an.

O sieh, wie durch das Laub, mein Liebchen,
Die Sonne dich bestrahlt,
Und bald den Mund, bald Wang und Grübchen
Mit glühndem Purpur malt!
Auf deinem Antlitz hüpft die Glut,
Wie Abendrot auf sanfter Flut.

Sie lächelte; ihr Busen strebte
Mit Ungestüm empor,
Und aus den heißen Lippen bebte
Ein leises Ach hervor.
Ich nahte mich, und Mund an Mund
Versiegelten wir unsern Bund.
(...)


(von Johann Heinrich Voß)