Gottesteig
ein Märchen aus Burundi

Ein schlechtes Jahr war gekommen, und im ganzen Land herrschte eine große Hungersnot. Eine Familie litt besonders darunter, dass sie nur einmal am Tag etwas Essbares hatte, womit sie ihren Hunger stillen konnte. Da machte sich der Familienvater Gedanken, wie er für sich eine zusätzliche Portion erhalten könnte und kam auf eine Idee.
"Liebe Frau", sprach er, "ich muss jetzt hinaus in den Wald. Wenn du inzwischen das Essen bereitest, dann gibt acht, dass du zwei Portionen bereitstellst. Die eine ist für Gott und die andere für mich. Du tust sogar gut daran, die Schale, die für Gott bestimmt ist, in den Vorraum zu stellen; so kann er sie sich holen, falls er vor mir eintreffen sollte."
Die Frau tat, wie ihr Mann sie angewiesen hatte. Und als es dämmerte, kehrte der Mann zurück und war sorgsam bedacht, in seine eigenen Spuren zu treten. Ohne Lärm zu verursachen schlüpfte er in den Vorraum, nahm den Gottesteig an sich und verspeiste ihn. Dann betrat er wieder sein Heim und begrüßte seine Frau, so als wäre er gerade erst eingetroffen. Sogleich reichte die Frau ihm eine Schüssel und einen Korb voller Brotteig.
"Hat Gott auch seinen Anteil bekommen?", fragte er.
Die Frau nickte bestätigend mit dem Kopf.
Als sich dieses Vorgehen immer öfter wiederholte, wurde die Frau aber misstrauisch. Daher ging sie zu einem Zauberer, um ihn um Rat zu fragen. Nachdem sie von ihren Zweifeln berichtet hatte, stimmte der Zauberer ihr zu, dass ihr Mann ein falsches Spiel spiele.
Er machte ihr einen Vorschlag, um ihren Mann zu prüfen:
"Hole dir einen Stein und lasse ihn im Feuer heiß werden. Dann reiche ihn in der Dunkelheit des Vorraums der Hand, die sich dir entgegenstreckt."
Die Frau bedankte sich und eilte nach Haus, um alles nach der Empfehlung des Zauberers vorzubereiten. Beim Anbruch der Dunkelheit, als sie ein Geräusch zu hören vermeinte, ging sie mit dem heißen Stein in den Vorraum und sagte:
"Du Gott, Du weißt, wie arm wir sind. Wir haben nicht einmal einen Korb, in den ich heute den Teig hineinlegen könnte. Darum bitte ich dich, streck deine Hände aus und nimm ihn in Empfang."
Der Mann tat wie ihm geheißen, und sobald seine Finger mit der Glut in Berührung kamen, brannten sie wie Feuer, so dass er den Stein fallen ließ und schnell hinaus ins Freie lief. Als er dann das Haus betrat, versuchte er den Eindruck zu erwecken, dass nichts geschehen sei und es ihm gut gehe. Doch seine Frau entdeckte die Brandwunden an seinen Händen und stellte Fragen.
"Unser dummer Ochse schubste mich und ich kam mit den Händen an die Flammen", erklärte der Mann.
Die Frau wurde bei seiner Lügerei sehr traurig, aber verschwieg ihm ihr Wissen.
Nach einiger Zeit konnten die beiden eine gute Ernte einfahren und brauchten sich keine Sorgen mehr um die Nahrung zu machen. Da nahm sich der Mann ein Herz und erzählte seiner Frau von seinem Täuschungsmanöver. Er bat sie um Verzeihung und sie lebten weiter voll Vertrauen füreinander.


... Dieses und andere schöne Märchen finden sich in dem Buch
"War es einmal ..." (Hrsg. Felicitas Peters); Märchen aus Burundi erzählt von Domitien Ndihokubwayo; Waxmann Verlag; 90 Seiten; DM 24,80; ISBN 3-89325-592-3.