Craig Silvey: "Wer hat Angst vor Jasper Jones?"


Seine Lieblingsbücher sind Mark Twains "Huckleberry Finn" und Harper Lees "Wer die Nachtigall stört". Immer wieder fragt er sich, was der von ihm bewunderte Rechtsanwalt Atticus Finch in einer bestimmten Situation getan hätte.

Und er kommt in viele solcher Situationen, der  dreizehnjährige Ich-Erzähler des vorliegenden Roman "Wer hat Angst vor Jasper Jones?" des australischen Schriftstellers Craig Silvey.
Charlie Bucktin heißt er und lebt mit seinen Eltern in einem Haus in der australischen Kleinstadt Corrigan. Er hat einen vietnamesischen Freund namens Jeffrey, der für sein Leben gern Cricket spielt, jedoch von den Anderen in der Mannschaft und auch vom Betreuerstab verachtet wird. Es geht viel um offenen und versteckten Rassismus in diesem Buch, denn auch der zweite wichtige Junge in Charlies Leben, Jasper Jones, wird wegen seiner Aborigine-Abstammung und der sozialen Verhältnisse, in denen er mit einem versoffenen Vater auf sich allein gestellt lebt, von allen verachtet.

Eines Abends, Charlie ist schon zu Bett gegangen, steht Jasper Jones vor Charlies Fenster und bittet ihn, dringend mitzukommen. Er brauche seine Hilfe. Schnell entschlossen, wenn auch sehr überrascht, dass Jasper gerade zu ihm kommt, zieht sich Charlie an und folgt Jasper auf verschlungenen Wegen durch den australischen Busch, der an die kleine Stadt Corrigan angrenzt.

Jasper führt Charlie zu einer geheimen Lichtung an einem See und zeigt ihm, was geschehen ist. Laura Wishart, die Tochter des Bürgermeisters, mit der Jasper befreundet war, hängt, übel zugerichtet mit einem Strick an einem Baum. Jasper befürchtet, man werde Lauras Tod ihm in die Schuhe schieben und hat auch schon einen Verdacht, wer diese Tat begangen haben könnte: Mad Jack, ein alter Mann, der allein in einer verfallenen Hütte lebt, und vor dem alle Kinder des Ortes Angst haben. Jasper ist sicher, dass er ihn irgendwann überführen kann. Doch zuvor müssen sie Lauras Leiche verschwinden lassen. Sie holen sie vom Baum, an dem sie hängt, wickeln einen schweren Stein um den Körper und versenken ihn im See.

Nun nimmt eine spannende Geschichte ihren Lauf. Da geht es wie erwähnt um Rassismus, (das Buch spielt im Jahr 1965), um soziale Ausgrenzung, um sexuellen Missbrauch, um Alkoholismus, aber auch um Freundschaft und Liebe. Und immer wieder um Cricket, dessen Spielregeln am Ende des Buches genau erklärt werden.

Charlie verliebt sich bald in Eliza, die jüngere Schwester Lauras, die trotz großen Suchaufgebots nicht gefunden wird. Sie weiß mehr, als sie zunächst preisgibt, und bald teilen die beiden jungen Liebenden ein ebenso großes wie schweres Geheimnis. Noch etliche andere Geheimnisse kommen in diesem wunderbar erzählten Roman, in dem Kinder zu Erwachsenen werden und die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden lernen, während eines einzigen Sommers ans Licht.

Im englischsprachigen Raum ist dieser Roman mit Preisen überhäuft worden. Er hat sie alle verdient. Craig Silvey stellt sich mit seinen Figuren und seiner Thematik bewusst in die Tradition von Mark Twain und Harper Lee. Und, das muss man voller Bewunderung anerkennen, er wird dieser Tradition in vollem Umfang gerecht.

"Wer hat Angst vor Jasper Jones?" ist ein anspruchsvolles und gleichzeitig spannendes Jugendbuch über Freundschaft, Liebe und Ausgrenzung, dem man viele junge Leser wünscht. Und wie bei jedem wirklich guten Kinder- oder Jugendbuch, kann man es auch Erwachsenen zur Lektüre empfehlen.

(Winfried Stanzick; 09/2012)


Craig Silvey: "Wer hat Angst vor Jasper Jones?"
Aus dem Englischen von Bettina Münch.
rororo, 2012. 416 Seiten. (Ab 14 J.)
Buch bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen

Craig Silvey lebt in Fremantle, Western Australia. Bereits mit 19 Jahren schrieb er seinen ersten Roman "Rhubarb". Anfang 2008 kam "Jasper Jones" heraus.

Weitere Buchtipps:

Helga Bertram, Jürgen Bertram: "Nächste Ausfahrt Buschhotel. Australische Abenteuer"

Australien weckt die Assoziation von grenzenloser Weite und Freiheit - dicht gefolgt vom obligatorischen Känguru. Der fünfte Kontinent, dessen britische Besiedlung erst Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte, beeindruckt schon in der Fantasie durch seinen unverhältnismäßigen Größenunterschied von Fläche und Einwohnerzahl.
Auf ihrer mehr als zehntausend Kilometer langen abenteuerlichen Reise treffen Helga und Jürgen Bertram auf exotische, bizarre und bisweilen absurde Figuren und Schauplätze, die allerdings nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel in diesem Land der Extreme darstellen: auf ein Ehepaar, das mitten in der Wüste einem Bahnhof vorsteht, auf Ian Loxton, einen pensionierten Goldgräber in der größten Goldmine der Welt, oder auf eine junge Europäerin, die den ganzen Kontinent zu Fuß durchquert. Bis zum Horizont reichende Steilküsten prägen die beeindruckende Landschaft ebenso wie das Outback mit seinen tropischen Wäldern und paradiesischen Blumenteppichen. Doch die Autoren haben ihre Augen auch vor den großen Problemen des Landes nicht verschlossen: vor den Umweltsünden der Viehzüchter aus New South Wales etwa oder vor dem kulturellen Niedergang der Aborigines, jener naturverbundenen Ureinwohner, deren Lage sich gegenwärtig dramatisch zuspitzt. (Picus)
Buch bei amazon.de bestellen

Rasso Knoller: "Reportage Australien. Im Land der Regenbogenschlange"
Keine lebende Kultur ist älter als die der australischen Aborigines. Auf seinen Reisen durch den fünften Kontinent besucht Rasso Knoller deren Vertreter in vielen Teilen des Landes. Die Kuku Yalanji in Queensland bringen ihm bei, wie man einen Woomera benutzt, mit den Nugal Warra besichtigt er die heiligen Stätten ihres Stammes, und mit den Bunuba in Westaustralien macht er sich auf die Suche nach Yarrada, dem Krokodil aus der Traumzeit. Und er fiebert mit den Rugbyspielern von Palm Island, der Insel, auf der Olympiasiegerin Cathy Freeman aufgewachsen ist. Rasso Knoller spricht mit Aborigines über ihren Zorn und ihre Hoffnungen: den Zorn über die Diskriminierung, der sie auch heute noch unterworfen sind, und die Hoffnung auf Aussöhnung. Rasso Knoller nimmt sich viel Zeit für seine Begegnungen und versucht, sich dabei auf die Regeln der Aborigines einzulassen.
Seine fesselnden Reportagen zeigen aber immer wieder auch einen Ausschnitt aus dem Leben der weißen Australier. Sie erzählen von den Winzern im Barossa Valley, den Goldgräbern in Westaustralien und einem Einsiedler in den Kimberleys. (Picus)
Buch bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen