Christopher Paolini: "Eragon"

Das Vermächtnis der Drachenreiter


Erlesen Sie Ihr blaues Wunder ...

Kritik vorab, Lob danach: Der Kosmos, der im Reich Alagaësia Gestalt annimmt, gleicht in weiten Zügen einer Verschmelzung von "Krieg der Sterne" und "Der Herr der Ringe". Inhaltliche Szenarien des einen Epos scheinen sich reproduziert - um nicht zu sagen geklont - und mit Figuren des anderen Epos gekoppelt zu haben. Lediglich die Namensgebung für Gute wie Böse ist dabei eigenständig. Wenngleich Protagonisten, die auf Angela, Helen oder Martin hören, nicht gerade von überbordender Kreativität ihres literarischen Schöpfers zeugen. Auch der fiese Galbatorix wäre dem Klang nach in einem wohlbekannten, bunt bebilderten Gallierdorf besser aufgehoben, als auf dem Thron eines düsteren Fantasyimperiums. Fantastik ohne Fantasie? Nein, so hart darf mit dem bei Entstehung von "Eragon" erst 15-jährigen Autor Christopher Paolini auch wieder nicht ins Gericht gegangen werden. Obwohl der junge Mann aus Montana Grundideen ohne viel Tarnung abkupfert, schafft er es, Spannung aufzubauen und Einzigartiges auf dem Papier lebendig werden zu lassen; kurzum, Charaktere zu beschreiben, die es so noch nicht gab.

Im Sinn hat der Rezensent dabei vor allem jenes aparte weibliche Wesen, das mit rankem Hals und tiefgründig blauen Augen vom Schutzumschlag lugt. Blau scheint generell ihre farbliche Vorliebe zu sein - als beruhigender Ausgleich zum manchmal recht hitzigen Temperament. Ja, Zunder hat das Mädel. Sobald Saphira sich nach 55 Seiten aus dem (klarerweise blauen) kristallharten Ei gepellt hat, wird das Buch ein anderes, ein interessanteres. Das Küken ist ein Drache!
Paolini zeigt seine Stärken eben genau dann, wenn er Saphira beschreibt. Als Babyechse schlingt sie behaglich den zarten Schuppenschwanz um den Bettpfosten, kuschelt sich an die Brust ihres menschlichen Schicksalsgefährten Eragon und bläst wohlig Wölkchen aus den Nasenlöchern. Als Jugendliche legt sie kokett die Flügel an oder streckt sich mit Katzenbuckel. Grollt Saphira, funkeln die Augen der azurnen Erzürnten, die spitzen Zahnreihen sind gebleckt, Rauch qualmt aus den Nüstern. Für Drachensagas ungewöhnlich: Der Schrecken der Lüfte empfindet Schutzgefühle, Trauer und Schmerz. Hingegen geradezu typisch für das Drachengeschlecht: Saphiras Hang zu Ironie und Sarkasmus; beides telepathisch kundgetan. Ist es Mutmaßung, zu meinen, dass in den nächsten beiden Bänden der als Trilogie angelegten "Eragon"-Erzählung manch Drachenmann ein Auge auf das schillernd blaue Schuppenkleid der Dame werfen wird? Eher schon Gewissheit ...

Doch das weiß wohl - neben Christopher Paolini - am besten die Hexe Angela. Ihre Auftritte waren bislang zwar kurz, aber von großer Wichtigkeit. Auf der Seite des Guten fällt ihr im weiteren Verlauf sicherlich eine entscheidende Rolle zu. Zumal Angelas Begleiter ein Werkater ist. Richtig, kein Wolf, sondern ein schnurrender Gestaltwandler, namens Solembum. Er taucht gerne mit spitzer Zunge und rettendem Ratschlag auf, um sich alsbald wieder im Nu zu verflüchtigen (Die Cheshire-Katze aus Alices Wunderland scheint wohl ein naher Verwandter zu sein). Süffisant und orakelhaft gibt das Katzenwesen sich. Wie Saphira kommuniziert es per Telepathie - und auch das nur zu einer elitär kleinen Schar Sterblicher. Eragon zählt zu diesen Auserwählten. Fazit: Solembum trägt neben Saphira am meisten zur Qualität des Romans bei.

Ähnlich wie J.R.R. Tolkien für Mittelerde bringt Christopher Paolini für Alagaësia eigene Fantasiesprachen zu Papier. Was Komplexität der Grammatik oder Reichtum des Wortschatzes angeht, scheint der junge Amerikaner vom britischen Altmeister jedoch noch gut ein Äon entfernt. Vieles ist vorerst Rudiment geblieben. Ein Ansatz, auf dem sich aber bauen ließe. Paolinis "Alte Sprache", in der alles Leben und alle Dinge ihren wahren Namen finden, lässt viel magische Schurkerei für Band II und III offen. Denn ist der wahre Name einmal bekannt, kann dessen Träger dienstbar gemacht werden - ein heikles Konzept, bekannt von der Kabbala bis zu Jonathan Strouds Dschinn "Bartimäus".

Vorgeschichte der Handlung: Einst herrschte zwischen Drachen und Elfen aufgrund unglücklicher Verquickungen Krieg. Eines Tages findet der Elf Eragon (nicht zu verwechseln mit dem namensgleichen Menschenhelden der Haupthandlung) ein Drachenei und zieht Bid'Daum groß (Parallele zu Saphira!). Als der Drache ausgewachsen ist, beschließen dieser und sein Elfenfreund, dem Töten ein Ende zu bereiten. Sie überzeugen beide Seiten vom Frieden. Damit der Krieg nie wieder aufzuflammen droht, wird ein Bündnis geschmiedet. Dessen Träger ist der Stand der Shur'tugal, der Drachenreiter. Elf und Drache gehen bei ihnen eine schicksalhafte Symbiose ein. Beide können durch die Augen des Anderen sehen und sich wortlos verständigen. Stirbt der Drache, bedeutet dies oft das Ende des Reiters. Andererseits verlängert das Zusammensein mit dem magischen Wesen die Lebensspanne. In späteren Zeiten durften auch Menschen Drachenreiter werden. Galbatorix war ein solcher. Als sein Drache getötet wird, verfällt er dem Wahn. Er sammelt 13 Abtrünnige um sich und vernichtet zuerst die Drachenreiter, denen er Schuld am Tod seines geliebten Tieres gibt; später auch alle Drachen, die ihm nicht untertan werden wollen. Auf den Schwingen des gefährlichen schwarzen Shruikan unterwirft er Alagaësia und wird zum Alleinherrscher. Ähnlichkeiten zwischen den Shur'tugal und Jedi-Rittern sind augenscheinlich. Ein Déjà-vu ruft auch die dunkle charakterliche Metamorphose des Galbatorix hervor; Darth Vader lässt grüßen.

Die Haupterzählung: Eragon, ein 15-jähriger Mensch, der im entlegenen Dörfchen Carvahall am Waldrand wohnt, findet eines schönen Tages jenen blau schimmernden Kristall, aus dem bald Saphira schlüpfen wird. Die Elfe Arya, verfolgt vom erzbösen "Schatten" Durza (vorzustellen als eine Art Tolkienscher Nazgul), hatte das "Ei" in letzter Sekunde durch ein Teleportationsportal in Sicherheit gebracht. Vorläufig. Denn auch die von König Galbatorix entsandten Ra'zac, ornithanthrope Auftragsmörder, suchen nach dem wertvollen Stück. Eragon muss samt Drachenbaby fliehen. An seiner Seite der kampferprobte, weise Geschichtenerzähler Brom (Mischung aus Obi-wan Kenobi und Gandalf), der später von den Ra'zac hinterhältig ermordet wird. Ständige Gefahr droht von den Urgals, bzw. ihrer Elitezüchtung, den Kull. Auch diesmal ist die Parallele zu Orks/Uruk-hai unübersehbar. Eragon plagen zudem Visionen von der gefangen gehaltenen Elfe Arya (Pendant zu Arwen im "Herr der Ringe"). Die Flucht durch das halbe Imperium endet schließlich in der von Zwergen gehaltenen Gebirgsfestung Tronjheim. Hier kommt es zum Treffen mit den Varden, den nicht nur sprichwörtlich im Untergrund tätigen Rebellen gegen Galbatorix. Und es gibt eine dramatische (vorläufige) Endschlacht, in der viel Blut fließt, auch das von Saphira.
Ins Zwielicht getaucht: Murtagh, Sohn von Galbatorix' rücksichtslosestem Schergen. Murtagh kämpft zwar auf Seite des Guten. Doch wie wohl gesonnen ist er tatsächlich? Eine Figur, mit der die Überleitung zum Band II mit vielen unbeantworteten Fragen gut geglückt ist.

So viel an Spannung durch rätselhafte Charaktere auch erhalten bleibt, so viele mysteriöse Elfen ihres kommenden Auftritts noch harren, so viel Übles Galbatorix weiterhin zu tun gedenkt, eines ist schon nach Band I klar. Das Epos um "Eragon" ruht fast ausschließlich auf den schuppenbewehrten Schultern Saphiras. Aus der vielfarbigen Persönlichkeit der blauen Drachenfrau gewinnt die Geschichte eigenes Kolorit. Ohne Saphira wäre es wohl der Leser, der bald die Nüstern blähen würde.

(lostlobo; 06/2005)


Christopher Paolini: "Eragon"
(Originaltitel: "Inheritance Trilogy 1: Eragon")
Deutsch von Joannis Stefanidis.
cbj, 2004. 608 Seiten.
ISBN 3-570-12803-2.
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Lien: http://www.eragon.de

Der zweite Band der Reihe:

"Eragon - Der Auftrag des Ältesten"

Die Dämmerung setzt ein ...
Die Verzweiflung wächst ...
Finstere Mächte regieren!
Geschunden, aber siegreich ist Eragon aus seiner ersten Schlacht gegen den mächtigen Tyrannen Galbatorix hervorgegangen. Er ist zum Helden vieler Elfen, Zwerge und Varden geworden, doch nicht alle sind ihm wohlgesinnt. Die Kräuterfrau Angela hat einen Verräter prophezeit, der aus Eragons eigener Familie stammen soll. Eragon ist sich sicher: Der einzig lebende Verwandte ist sein Cousin Roran - aber niemals würde dieser sich gegen ihn wenden! Doch die Prophezeiung spricht: "So wird es kommen, selbst wenn du es zu verhindern suchst."
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