Gabi Kreslehner: "Charlottes Traum"


Mit diesem Jugendroman ist der 1965 in Linz geborenen und in Oberösterreich lebenden Lehrerin Gabi Kreslehner ein hervorragendes Debüt gelungen, das nicht ohne Grund mit dem "Peter-Härtling-Preis" und dem Jugendliteraturpreis des Landes Steiermark ausgezeichnet wurde.

In einer sensiblen, der Lebens- und Erfahrungswelt von Jugendlichen angepassten Sprache, die diese jedoch nie nachahmt, erzählt Gabi Kreslehner die Geschichte von Charlotte.
Diese ist gerade 15 Jahre alt geworden, und ihre Eltern haben sich getrennt. Ihr Vater hat etwas mit Babsi, seiner schönen und jungen Sekretärin, angefangen. Die Folge: Die ganze Familie muss aus dem von Charlotte so geliebten Haus ausziehen, eine Familie Springer kauft es, und Charlotte zieht mit ihrer Mutter und ihren beiden kleinen Brüdern in das Haus der Großmutter, wo sie unter sehr beengten Verhältnissen leben.
Ihre Mutter intensiviert die Beziehung zum Nachbarn Melchior, der, wie sie genau weiß, schon seit langem ein Auge auf sie geworfen hat. Charlotte steht allein, ist verzweifelt und traurig über den Verlust ihrer Heimat und ihrer alten Schule mit ihren Freunden und sieht sich obendrein noch mit den feigen Versuchen ihres Vaters konfrontiert, der seine Tochter um "Verständnis" bittet:
"Papa meinte auch, dass unsere Tragödie keine Tragödie sei. Es sei ja nicht so, dass er Mama nicht mehr mögen würde, sagte er, das dürfe ich nicht falsch verstehen, es sei halt einfach so, dass sie beide, also Mama und er, dass sie beide halt einfach nicht mehr miteinander leben wollten, nicht mehr miteinander leben konnten. Ob ich das verstünde. Sehr! Ich schaute ihn an. Was sollte ich denn sagen ? Dass ich überglücklich war, weil sie mein schönes, bequemes Leben ruiniert hatten? Dass ich am liebsten alles zusammengeschlagen hätte? Sie waren erwachsen, sie verstanden nichts ...."

In ihrer neuen Schule begegnet sie Selzer, einem etwas dicklichen Knaben, der sich in Charlotte verliebt und von dem sich herausstellt, dass er unter jenem Umstand leidet, den man Wohlstandverwahrlosung nennt. Wie Gabi Kreslehner diese Nebenfigur schildert, ist großartig. Zwar lebt Selzer noch mit beiden Eltern, doch in all seinem Reichtum ist er noch einsamer als Charlotte, weil seine Eltern sich gar nicht um ihn kümmern und er ihnen auch egal ist.

Als mit Carlo ein aus Italien stammender neuer Mitschüler in die Klasse kommt, stehen die Mädchen Kopf, denn er sieht sehr gut aus.
Gabi Kreslehner beschreibt nun zart und feinfühlig, wie sich Charlotte und Carlo einander annähern, wie sie die Liebe kennen lernen und wie Charlotte ohne Unterstützung ihrer Eltern langsam erwachsen wird. Ihre Mutter ist in der Zwischenzeit mit den drei Kindern zu Melchior gezogen, aber dort sehr unglücklich.

Die Erwachsenen verhalten sich in diesem Buch durchweg nicht "erwachsen", während insbesondere Charlotte, Carlo und Selzer, die sich zu einem guten Freundesteam ohne Eifersucht entwickeln, erstaunliche Fähigkeiten zeigen bzw. erlernen.

Charlotte lernt mit Carlo vorsichtig und zart die Liebe kennen, wächst an dieser Freundschaft und kann schließlich auch ein neues Verhältnis zu ihrem Vater und ihrer Mutter schaffen, deren Probleme sie ohnedies nicht lösen kann bzw. will und von denen sie sich psychisch unabhängig machen muss.

Gabi Kreslehner ist ein wunderbarer Jugendroman gelungen, den man insbesondere Mädchen ab 13 Jahren nur empfehlen kann. Auf das nächste Buch dieser hoffnungsvollen Autorin darf man mit Fug und Recht gespannt sein.

(Winfried Stanzick; 04/2009)


Gabi Kreslehner: "Charlottes Traum"
Beltz & Gelberg, 2009. 117 Seiten. (Ab 12 J.)
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