Gott beschenkt uns, oder: Das totale himmlische Wipe-Out


In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass Gott wieder aktiver wird. Gerade schien er noch als Frührentner nach Mallorca abgetaucht, nun dominiert er wieder handgeschriebene, moralisierende Briefe, die man von Familienmitgliedern zugeschickt bekommt. "Gott sagt: blablabla". In meinem Fall will Gott, dass ich mich mehr um meine Familienmitglieder kümmere. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber nun zu Dieter, meinem besten Freund.

Dieter war siebzehn Jahre lang mit Julia verheiratet, bevor er sich auf eine Affäre mit einer gleichaltrigen verheirateten Frau einließ, Kerstin. Kerstin hatte eine bessere Figur als Julia. Außerdem trug sie Reizwäsche, während Julia eher im Schlabberlook zuhause war. Nun, das hatte Dieter siebzehn Jahre lang nicht gestört, jetzt kehrte er es hervor. "Ich fühle mich einfach gut mit Kerstin, ich habe keine Gewissensbisse", vertraute er mir an.

Die Sache ging so lang, bis er Gewissensbisse bekam. "Es ging einfach nicht mehr", sagt mir Dieter, "schließlich habe ich doch kirchlich geheiratet und dabei Gott versprochen, meine Frau zu lieben und zu ehren. Also sage ich zu der Kerstin: Ich kann nicht mehr, ich muss aufhören. Ich habe sie gefragt, vielleicht ein bisschen übertrieben, ich wollte ja Schluss machen, und ich dachte, wenn ich die moralische Schiene fahre, bin ich schneller zuhause: Wie bringst du es überhaupt fertig, mit mir zu schlafen, du hast doch auch kirchlich geheiratet? Aber sie meint, sie hat Gott gefragt, und er hat ihr mitgeteilt, es ist okay, ich bin der Mann ihres Lebens, sie will ein Kind von mir, und sie hat es verdient, mit mir zu schlafen nach all den Jahren, in denen sie in ihrer Ehe gelitten hat."

Ist das nicht schön? frage ich mich. Gott ist auf seine alten Tage ganz schön verständnisvoll geworden. Zumindest gönnt er Kerstin für ihren heroischen Einsatz in ihrer lausigen Ehe, dass sie diese gewissenlos brechen kann mit einem ebenso gewissenlosen Ehebrecher. Finde ich irgendwie cool von Gott, hat aber was Abgeschmacktes, irgendwie Achtundsechziger. Nun aber weiter.

Neuerdings hat Dieter die Affäre mit Kerstin beendet für eine neue Affäre. Jennifer ist unverheiratet, jünger und hübscher als Julia und Kerstin, und auch ziemlich katholisch eingestellt. Originalton Dieter: "Sie hat mir gesagt, ihr ist das wichtig, dass wir beide Christen sind, sie möchte einen Mann, der an Gott glaubt." Dieser Mann ist Dieter. Er glaubt an Gott, vor allem aber, vermute ich, glaubt er an Jennifer.

Die beiden wird aufgrund ihres Katholizismus doch etwas das Gewissen geplagt haben. Also haben sie bei Gott angefragt, ob sie zusammen gehen sollen, und Gott hat Jennifer dabei mitgeteilt, sie sei so lange alleine gewesen, sie verdiene es, auch einmal glücklich zu sein und beide wollten doch Kinder, so Dieter. Heißt es nicht in der Bibel, gehet hin und vermehret euch? Sein Wohlwollen hat Gott den beiden in der Kirche in dem Urlaubsort mitgeteilt, in dem sie gerade weilten.

Was kommen musste, trat auch ein. Dieter zog nach seiner Rückkehr bei Julia aus, wo er noch gelebt hat, und bei Jennifer ein, die auch eine hübsche, schnuckelige Wohnung hat. Seither will Dieter die Scheidung. Das Problem ist zwar, dass sich kirchlich geschlossene Ehen nicht auflösen lassen, aber das ist Dieter nicht so wichtig: "Gott sagt, eine Ehe kann nur im Herzen geführt werden, und wenn das Herz schweigt, ist die Ehe automatisch nichtexistent." Wo steht das in der Bibel? möchte ich wissen. Dieter meint, es stehe dort irgendwo. Alles steht in der Bibel.

Julia hat da eine andere Einstellung. Sie ist mit ihrer Schwiegermutter, die das Verhalten ihres Sohnes Dieter als töricht einstuft, nach Mariazell gefahren, einem berühmten Wallfahrtsort, um für ihre lange, erfolgreiche Ehe, die sie nun jäh als gefährdet erlebt, zu beten. Julia kann der Scheidung, hat sie nach ihrer Rückkehr Dieter mitgeteilt, nicht zustimmen, denn Gott hat ihr gesagt, dass sie bis zu ihrem Lebensende zu Dieter gehört, er ist ihr Ehemann und wird es bleiben. Gott will es so. Sie will durchaus ein Kind von ihm, wenn er sich Kinder wünscht. "Was für ein Horror", schüttelt sich Dieter in Gedanken, "all die Jahre wollte sie keines und jetzt das."

Daraufhin ist Kerstin überraschend bei Dieter aufgetaucht und hat ihm folgende Geschichte erzählt: Sie war vor einigen Wochen schwanger und hat das Kind verloren, als er Schluss gemacht hat. Sie will ihm Kinder schenken, er muss mit ihr gar nicht zusammen sein, sie will nur ein Kind von ihm. Sie hat versucht, ihn zu vergessen, aber Gott hat ihr immer wieder auf ihre Gebete gesagt, er sei es, der Vater ihrer Kinder. Er gehöre ihr. Gott hat ihr Dieter geschenkt. Er müsse es nur noch begreifen, in sich hineinlauschen. Ich stelle mir Dieter vor, wie er lauschend vor Kerstin sitzt und dabei an Kinder mit Jennifer denkt. So grausam kann Liebe sein.

Irgendwie hat Julia die Kerstin-Affäre erst jetzt mitbekommen. Sie hat nun die Schnauze voll von Dieter, diesem "Schwein", das seinen "Schwanz in jede X-beliebige hineinsteckt". Was ist eigentlich mit Gott, möchte Dieter von Julia wissen, was denkt der darüber, wenn du so geschmacklos mit mir redest? Julia leidet nun darunter, dass Gott sie an diesen Mann kettet, aber da muss sie durch.

Und Jennifer, der Dieter tagtäglich von diesen Umstürzen berichtet, erträgt all diese Spannungen mit einem Lächeln, weil Gott sie prüft. Sie spürt, dass er sie für diese Rolle vorgesehen hat. Hält sie sich für Maria Magdalena? Jennifer schien mir, als wir uns in einer Lounge zum Grünteetrinken trafen, zu unbedarft für dergleichen taktlose Fragen. Die Situation sei schwer für sie, erzählt mir Jennifer, aber was soll sie tun - es ist Gottes Wille. Dabei sah sie jung und hübsch und zum Anbeißen aus. Und wunderbar gefestigt im Glauben.

"Und du?" frage ich Dieter, der von all dem Wirrwarr leicht erschöpft wirkt. "Weißt du", meint er, "mir hat in letzter Zeit immer der Spruch geholfen: Dein Wille geschehe. Ich habe mit Julia Schluss gemacht und mit Kerstin Schluss gemacht. Gott gab mir die Kraft, diesen Weg zu gehen. Und offen gestanden finde ich es geil, dass er mir Jennifer gönnt. Sie ist so überaus niedlich und anschmiegsam, ein richtiges Gottesgeschenk."

Ja, das ist sie. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass Gott noch einige Überraschungen für die beiden bereithält. Denn wie wir mittlerweile wissen, hat Gott es faustdick hinter den Ohren.

(Berndt Rieger)