nach LUST & Laune
© Alexander Pöll
In der plattgedrückten Landschaft fährt Simon Berger am Drehort vor. Brumm macht das Auto und brumm macht sein Schädel. Der Brummschädel ist der Erste am Drehort. Er kommt als Erster, obwohl er als Letzter kommen soll. Zuletzt soll er kommen, und dann darf er sich wieder über die sieben Berge zu den sieben Zwerglein hauen. Er manövriert seinen Porsche neben das Hauptportal, springt aus dem Auto und greift sich in den Schritt. Zack. Schon hat er hingelangt in seinen Schritt. Er grapscht in die Vollen. In seine Vollen. In seine vollgepackte Hose. Voll auf sein Instrument, voll auf sein Arbeitsmaterial.
Voll toll
sagt der Volltrottel dann und sucht nach dem Klingelknopf an der Gegensprechanlage. Eine freundliche Stimme begrüßt ihn und weist ihn an, das Anwesen zu betreten.
Tritt ein, bring Glück herein, bring dein Glück herein, hier hin, in den sicheren Hafen
wird sie ihn wohl willkommen geheißen haben.
Komm rein, du und dein allerbestes, ich meine natürlich den Porsche, eh klar, komm herein
wird sie durch die Gegensprechanlage geflötet haben.
Die eisernen Tore öffnen sich, und Simon flutscht mit seinem Prachtgefährt und all der anderen Pracht, die er mit sich herumschleppt, hinein, parkt seinen Porsche in einer sicheren Garage und schon steht sie an seiner Seite, die junge Dame, die gerade noch durch die Gegensprechanlage mit ihm geflirtet hat. Freundlich schüttelt sie die Hand des jungen Mannes und grinst verstohlen wie eine pubertierende Klosterschülerin. Berger versucht eine kleine Konervsation vom Stapel zu brechen. Vom Zaun zu reißen. Er will sie mit seinen Worten fesseln, bis es ihr die Röte ins Gesicht treibt. Bis er ihr die Röte ins Gesicht treibt. Aber um sie grün und blau vögeln zu können, muß er sie erst von sich überzeugen. Alles, was er zu bieten hat, will er preisgeben. Vorerst einmal in Worten. Wenn das nichts hilft, kann er immer noch seinen Hosenstallt aufsperren.
Mein Name ist Simon
beginnt er und setzt fort:
Ich bin Pornodarsteller.
Mehr fällt ihm im Moment nicht ein. Reicht das nicht auch? Reicht das nicht schon? Jetzt reicht´s aber, das muß doch ausreichen! Aber die junge Dame zeigt sich sichtlich unbeeindruckt und denkt gar nicht daran, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Nichts passiert. Nichts kommt. Alles bleibt still. Welch ein Verlust! Kein Wort. Ganz wortlos stehen sie da, die beiden, der Dickschädel und die Klosterschülerin. Doch vielleicht kommt´s auch schneller, wenn es nicht kommen muß. Vielleicht kommt´s ihm schneller, wenn er nicht kommen muß. Fällt ihm denn nichts ein? Achtung, jetzt aber!
Ich zähle dreiundzwanzig Lenze
versucht es Simon weiter.
Aber bei Gott, ich würde mich niemals in dieser schnulzigen Art und Weise ausdrücken. Präsentieren und vorstellen. Da stelle ich mich lieber vor die Kamera und zeige, was ich zu bieten habe, bevor ich es ausdrücke oder ausdrücken lasse. Das spricht für sich selbst. Das muß für sich selbst sprechen. Für mich sprechen. Besonders dann, wenn es hart und ganz groß wird. Und einen Tauchgang bestreitet, bevor es tropfnaß wieder in eine wohlverdiente halbstündige Pause geht. Es, das Instrument. Mein Instrument. Mein Werkzeug, ja, handwerklich bin ich wohl ziemlich gut drauf. Besonders dann, wenn ich einen Blaumann anhabe. Und gierige Hände danach zu grapschen haben. Gierige Hände mir den blauen Anzug vom Leib reißen, weil sie gerissen werden wollen. Nicht die Hände, aber die Körper, die ihnen angehängt wurden. Die den Händen angeschraubt worden sind, weil Handarbeit nicht alles ist. Nicht alles sein muß. Nicht alles sein kann. Nicht alles sein darf. Besonders vor der Kamera und ihrer Linse bietet die fleischige Landschaft viel mehr. Ganz viel mehr. So viel mehr, daß das Wort "viel" noch viel zu wenig ist! Sonst hätte der Kameramann nicht allzuviel auf den Videobändern einzufangen. Der Zuschauer würde weinen. Und seine Tränen in einem sintflutartigen Schwall über die Welt legen. Daß sich der Videorekorder einen Kurzschluß einfängt und alles vom Bildschirm verschwindet und hinfort geschwemmt wird. Die ganzen Körpersäfte in einem Meer von Tränen. Salzigen Tränen, die ein bißchen bitter schmecken. Ja, Weinen ist bitter.
Die junge Dame lächelt noch immer wie eine Klosterschülerin am Höhepunkt ihrer Pubertät. Wie eine Klosterschülerin am Höhepunkt. Den einzigen Höhepunkt, den man einer Klosterschülerin so mir nichts, dir nichts und frei von der Leber weg gönnt, ist der Höhepunkt der Pubertät. Mehr aber auch schon nicht. Macht auch nichts. Gut so. Und gut, daß es nichts macht.
Die junge Frau kichert ein wenig.
Hihi
kommt über ihre Lippen. Rutscht aus ihrem Mund. Ganz verlegen und doch ein wenig kokett. Was hätte sie auch sonst von sich geben sollen. So ein
Hihi
kann was. Natürlich hätte sie ihn lieber etwas gefragt. Sie hätte gerne gefragt:
Sag mal, du! Ich seh zwar dein gebräuntes Gesicht und deine dunklen Haare, die du mit Gel aufgestellt hast, aber wo ist nur der Rest von dir geblieben? Ist der Rest von dir irgendwo unter deinem weiten T-Shirt und deiner Skaterhose? Wo ist denn dein Po? Dein Popo, dein knackiges Popscherl bloß? Ich kann´s gar nicht sehen. Kann es sein, daß der Rest von dir irgendwo da drunter ist? Unter deinem Gewand? Kann das sein? Oder irr ich mich? Bist du da irgendwo drunter?
Aber sie getraut sich nicht, Simon die Fragen zu stellen. Stattdessen hüpft ihr nochmals ein
Hihi
aus dem Mund munter heraus, dann drückt sie Simon den Schlüsselbund in die festen, griffigen Hände.
Na wusch, das sind vielleicht Hände!
denkt sie bei sich.
Und wir geben ihr natürlich recht. Das sind vielleicht Hände! Hände, die alle notwendigen Handgriffe blindlinks beherrschen. Als kämen sie aus dem FF. Aus dem FF, weil schmutzige Bezeichnungen immer mit F anfangen. Und mit einem vollen Mund enden.
Kaum sind die Schlüssel in Simons Hand, verabschiedet sich die junge Dame auch schon, steigt in ihren Wagen und fährt davon. Weg ist sie. Wie weggezaubert. Und zurück läßt sie einen verzauberten Pornodarsteller mit Dickschädel, der ihr sehnsüchtig nachguckt. Ja, da guckt er, der Schlawiner. Ja, da macht er Augen, ganz große. Wie ein kleines Kind, dem man sein Spielzeug wegenommen hat. Womit soll er denn jetzt spielen? Mit sich? Hätte er doch die Klosterschülerin noch ein wenig unterhalten. Und damit aufgehalten. Und dann wie eine Ansichtskarte lieblich ans Brett genagelt. Sozusagen als Abschiedsgeschenk. Tja, Abschiedsgeschenke sind nun einmal etwas Schönes! So schön, daß man sie am liebsten nie vergessen und sie sich immer wieder in einverleibender Manier vor Augen führen will, um sie in Erinnerung zu behalten – und sei es nur mit einigen, unzähligen Handgriffen. Vor, zurück. Vor und zurück. Zuerst langsam, dann schneller. Immer schneller. Ja, so ist es gut. Gut und schön. Und die Gedanken purzeln wirr in die Erinnerung.
Etwas später erscheint die Produktionscrew am Drehort: die blonde Produzentin Linda Lawendel, der Regisseur und der Kamermann. Linda gibt sich ganz als Geschäftsfrau mit Filofax, Füllhalter und Tascherl für die Maniküre. Dann kann sie jederzeit sagen:
Ja, da habe ich noch einen Termin frei, warten Sie, ich nehme den Füllhalter und notiere, und Moment bitte, ich muß noch rasch meine Wimpern tuschen.
Der Regisseur vergräbt sein Gesicht hinter einem dicken Bart und sagt prinzipiell nichts. Man weiß gar nicht, wo sich da sein Mund unter all den Barthaaren verbirgt. Doch was soll er auch viel reden und große Töne spucken bei all dem Nichtssagenden rund um ihn. Da sagt er auch nichts. Gar nichts. Rein gar nichts. Nichts desto trotz. Nicht aus Trotz. Ja, er ist ein trotziges Bartgesicht, der Regisseur. Und es langt wohl, wenn er nickt. Oder den Kopf schüttelt. Das langt vollkommen aus. Das findet sein Auslangen. Er findet sein Auslangen. Als Handlanger der Produzentin.
Der Kameramann spricht dafür umso mehr. Er sagt:
Ein Stück nach vorne, ein Stück zur Seite, ja das Licht muß passen. Paßt mir das? Ja, es paßt mir. Paßt´s dir auch? Paßt. Basta. Pasta Ascuitta hätt ich auch gern zum Abendessen." Oder er weist die Darsteller an: "Zu früh, zu kurz, zu langsam, zu sehr du selbst. Zu wenig wer anderer. Sei wer anderer.
Wenn der Kamermann einmal nicht gerade spricht, dann lugt er mit der Linse des pechschwarzen Objektivs seiner Kamera auf das sprichwörtliche Treiben. Er fängt es geschickt mit modernster Technik ein und lichtet es auf unzähligen Bändern ab. Ja, er darf ablichten, weil er zuvor auch ordentlich das Licht eingestellt hat. Er paßt auf, daß nichts vergeudet wird. Nichts ins sogenannte Off geschleudert wird. Bloß nichts ins Off verschleudern. Nichts ins Ungewisse patzen. Dann ist alles verpatzt. Lieber ans Eingemachte gehen und an die Öffentlichkeit treten. Dafür sorgt schließlich die allerbeste Bildqualität dieser High-Tech-Kamera.
Linda holt sich nun ihre zwei obligatorischen Küsse von Simon ein. Küßchen links, Küßchen rechts. Bussi aufs Wangi. Aber nicht auf den Mund. Nein, nein. Böser Junge. Böser du! Bloß nicht! Ihren Mund darf nichts und niemand berühren. Bloß nicht zungenküssen, knutschen, schmieren, ansaugen und wie man es sonst noch nennt. Über ihre Lippen läßt sie nichts und niemanden kommen! An ihre Lippen läßt sie nur Schminke. Also Lippenstift. Damit Elisabeth Arden gleich drei gekonnte Luftsprünge vollführen kann. Wegen des gesteigerten Umsatzes. Tja, Linda hat große Lippen. Große aufgespritzte Lippen. Sie hat sie sich ordentlich aufspritzen lassen vom plastischen Chirurgen. Und zum Schönheitsdoktor gemeint:
Hier hast du zehntausend Schilling, jetzt schau mal, wie viel Lippe dabei rausspringt. Spritz sie mir so richtig toll auf, aber bloß nicht an!
Der Onkel Doktor hat ihr dann die Lippen so richtig aufgeblasen. Und viel Lippe braucht jetzt viel Lippenstift. Viel Geld geht also lippentechnisch stiften, und Frau Arden, aber nur Frau Arden, darf sich freuen, darf beim dunkelroten Kosmetikprodukt der Markenummer fünfunddreißig Strich c Strich vier gesteigerten Umsatz und mehr Cash für ihren Konzern verzeichnen. Und Frau Arden ist sodann berechtigt, sich genüßlich die Hände zu reiben, weil viel eingekauft wird, um das Weiße, die Blässe, das blaßweiße Geschmier, zu vertuschen und zu verdecken. Mit viel roter Farbe. Rot ist auch die Farbe der Liebe, wieso sollte man sie sich also nicht fingerdick ins Gesicht packen. Ins Gesicht pappen. Wer kein Geld hat und eine arme Kirchenmaus ist, der muß sich halt ärgerlich auf die Zunge beißen. Oder noch besser auf die fette Lippe. Da kann man dann lippenstifttechnisch Kosten sparen. Um Frau Arden das gierige Händereiben abzugewöhnen. Reiben kann sie gefälligst wo anders. Damit es sich auszahlt und für die Produzentin bezahlt macht.
Also Simon, so küß ihr die dürren Wangen, die faltigen und trockenen, und wisch dir brav die lechzenden Speichelränder bei ihr ab. Aber so, daß es unbemerkt bleibt. Sonst gibt es eine gehörige Portion Faustschläge auf dein Drecksmaul. Auf dein verkommenes Lustgoscherl, das du gefälligst im Zaum zu halten hast. Die Produzentin will sich nämlich kein Fieberbläschen holen. Herpes macht schließlich selbst die abgehärtesten Münder wund. Und bei den Darstellern weiß man nie, wo sie zuletzt ihren Schädel versenkt haben. Wo sie ihre Gesichtsöffnungen zuletzt vergraben haben. In welchem Schoß, in welcher Gesichtsplatte, in welchen Öffnungen, die der Körper zu schenken bereit ist.
Berger busselt brav. Schließlich hat er zu spuren. Hat Spuren zu hinterlassen, gut sichtbare. Damit das Objektiv auch alles auf Bändern festhalten kann. Damit man nicht tricksen muß. Und der Regisseur zufrieden seine Hände reibt wie Elisabeth Arden.
Der Regisseur folgt Linda Lawendel in die Villa. Er sieht immerzu alles und versucht sich in beobachtender Manier dem Zuschauer anzunähern. Denn der Regisseur und der Zuseher gleichen fast einer überdimensionalen Figur. Tja, der Regisseur und der Zuschauer tun im Prinzip, aber nur im Prinzip, das selbe. Sie beobachten und schauen. Sie gucken und glotzen. Und die Glotzer befehlen, was passiert, wo es passiert und mit wem es passiert. Der Regisseur ist im Grunde nur dazu da, die Wünsche der Zuschauer zu äußern. Macht er aber nicht, weil er ja nichts sagt. Also schreibt er alles fein säuberlich nieder. Er schreibt sozusagen das Drehbuch. Und arrangiert darin alles nach dem Verlangen der Zugucker.
Wahrlich ein kleiner Gott, dieser Regisseur! Ein kleiner Gott, dieser verkrampfte und nach Entspannung dürstende Zuschauer! Und was für eine Göttin diese Produzentin erst ist! Eine grazile Blondine mit proppervollen wahrlich-tollen Lover-Lippen. Eine Göttin, herabgestiegen vom Video-Olymp. Herabgesandt vom Medien-Apoll, um den Blick des Regisseur gedankenwichsend an ihre Strümpfe zu fixieren.
Was guckst du so?
fährt Linda den Regisseur an, als sie merkt, daß er ihr auf die Strapse glotzt. Und sie setzt fort, beinahe entschuldigend:
Ich bin zwar selbst für alles offen, was da kommt, aber dich sehe ich nicht kommen, tut mir echt leid! Was kommst du auch von hinten, schleichst dich an! Egal.
Der Regisseur läßt sich nicht beirren und folgt der Produzentin. Auf Schritt und Tritt. Und ihren Anweisungen. Wie ein Rockzipfel hängt er an ihr und klettet sich fest. Mit seinem Blick. Das ist es doch, was einen Regisseur auszeichnet. Sein Blick! Sein unbefangener Blick! Und nun fällt sein Blick auf Lindas Beine. Auf ihre Strümpfe. Lindas Strümpfe scheinen ihre vermeintlichen Dessous unter dem Rock einzufangen.
Ich hefte meinen Blick auf ihre Schuhe
denkt der Regisseur still bei sich. Ja, er denkt still. Ist doch auch sonnenklar, wenn er niemals etwas sagt. Nun denkt er weiter:
Ihr Schuhabsätze rammen sich bei jedem Schritt in den Boden. Sie verleihen Linda Ausdruck. Ausdruck in ihrer Bewegung. Ausdruck in ihrem Schritt. Ja, ich hefte, fixiere und klette mich. Bis ich mich eines Tages aufhänge.
Linda schafft gierige Blicke. Schafft Begierde. Und wer zu schaffen vermag, scheint ein Meister zu sein. Eine Meisterin vom Video-Olymp, zu den Menschen gekehrt, um Latexverwirrung zu stiften. Und ihr Zögling läuft ihr hintendrein, um ihr hinten hinein zu kriechen – und sei es nur mit dem pulsierenden Stachel. Dem Stück Fleisch des Zöglings, daß dieser getrost in andere Leute versenken kann. Um seiner Position Nachdruck zu verleihen, auch wenn ihm der nötige Ausdruck noch fehlt. Hauptsache Druck und notgeiler Druck bestenfalls. Druck in das Ventil und hinein ventiliert! Sich ein wenig mit den Pranken festkrallen und dann mit dem Prallen in die Vollen knallen. Daß es nur so propft und tropft und patscht und man alles daran setzt, abzudichten, was nicht ganz dicht zu sein scheint. Das macht vielleicht Spaß! Tralala. Juchheissasa. Etwas lauter bitte. Lauter krächzen, lauter schreien, lauter jubeln und lauter jaulen. Lauter jauchzen, die Synchronisation sparen wir uns gleich mal. Sparen wir uns auf für schlechte Zeiten. Dann, wenn die Stimmbänder so wundgeplärrt sind, daß auch ein Wick Blau nicht mehr viel hilft.
Ein Taxi fährt der Villa vor und eine hilflos überladene Frau mit immensem Brillengestellt bahnt sich ihren Weg. Die plumpen Beine in Hochhackiges gestopft stolpert sie den Kiesweg entlang, die Hände vollgepackt mit Taschen und Sackerln und all dem Accessoir, das man einer Möchtegern-Reporterin zuschreiben würde. Ja, einer Möchtegern, die hoffentlich auch gern möchte, wenn nachts die Lichter ausgehn und es still wird am Drehort. Und nur noch geprobt und geübt und gebastelt wird in den unzähligen Kämmerchen, wo die Strohdummen ein wenig Gold aus ihren Körpern spinnen. Alle zusammen und jeder für sich. Eine für alle und alle auf einer.
Weil das ganze Klimmbimm der Reporterin aber langsam zu schwer wird, entschließt sie sich zu einer kurzen Pause, ehe sie die Villa betreten und der Produzentin
Grüßgott
sagen wird. Sie stellt ihre Taschen auf den Kiesweg, atmet tief durch und blickt sich um. Schon entdeckt sie ein junges Mädel, das ganz verloren ein paar Meter hinter ihr steht.
Ja hallo
ruft die Reporterin und geht auf das Mädchen zu.
Darf ich mich vorstellen? Natürlich darf ich, du sagst ja auch gar nichts, du dummes kleines Mädel! Weißt du wer ich bin? Na? Eine Ahnung? Eine klitzekleine wenigstens? Nein? Auch gut. Also ich bin Reporterin und arbeite für einen deutschen Privatsender. Ich bin beauftragt, eine große Reportage über das Porno-Business in Deutschland zu drehen. Weißt du, du dummes kleines Ding du, den mir zugeteilten Kameramann habe ich nach Hause geschickt. Filmen kann ich schon selbst, gell. Da staunst du nicht schlecht.
Das Mädel, keineswegs auf den Mund gefallen, erwidert prompt:
Ich bin Schauspielerin
beginnt sie ihren Monolog und sieht sich gedanklich schon auf den Brettern, die die Welt verheißen. Sie masturbiert sich also sprachlich weiter, wie sie es am eigenen Leib schon ausprobiert hat:
Ich heiße Bettina Lurch, und merken sie sich gleich meinen Namen! Noch stehe ich am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, aber schon bald wird auch mich der Karriere-Höhepunkt ereilen! Wissen Sie, meine Umgebung hat mich immer anerkannt, aber niemals als die, die ich wirklich bin. Ich habe mich ganz alleine gestaltet. Der weibliche Körper muß gefallen, das macht Arbeit. Die Arbeit sagt mir, was ich zu sein habe: Eine Illusion. Ein Traum. Etwas, das doch nicht wahr sein kann. Wenigstens das Geld darf nicht ungenützt bleiben. Geld ist dazu da, um verspielt zu werden. Geben sie mir recht? Gell, da gucken Sie jetzt. Ich bin gar nicht so blöd, wie ich ausschaue. Sie hätten doch niemals gedacht, daß ich mich als karrieregeile Künstlerin verstehe, oder? Auf eine geile Künstlerin mögen sie zwar allemal getippt haben, aber auch die Karriere ist mir wichtig! Wissen Sie, Porno ist Kunst. Moderne Kunst. Pornographische Kunst. Körperkunst und Körperkult. Kult ist cool. Und ich bin es auch mit meinen zweiundzwanzig Jahren. Gut, ich bin noch jung. Sehr jung. Bin sozusagen ein kleiner Frischling in dem Geschäft und darf in dieser Villa zum ersten Mal eine Hauptrolle spielen. Ist das nicht toll? Ist das nicht supertoll? Und affengeil oberndrein. Da werde ich gefilmt, ja ich! Da wird mich der Kamermann beäugen, und ich muß nicht mehr in der Menge untergehen wie ein sinkendes Schiff mit einem kleinen Leck. Diesmal darf mein Leck ganz groß gefilmt werden. Wie es geflickt und verstopft wird, damit ich nicht mehr unterzugehen vermag, sondern an der Oberfläche weitertreibe. Und ich weiß schon, eines Tages werde ich ganz groß herauskommen. Nicht nur groß kommen, nicht großartig kommen, sondern richtig dick herauskommen. In Amerika. In den USA. In Hollywood. Ich will zwar nicht daran denken, aber ein richtiger Hollywood-Kinofilm ist auch etwas für mein kultisches Gespür. Oder ist es mein künstlerisches Gespür? Egal, Kunst ist Kult, und Kult ist cool. Urcool und megageil. So wie ich.
Szenenwechsel, wie man so sagt. Der Kameramann fuchtelt mit seinen langen, dürren Fingern wirr in der Luft herum, deutet Simon und Bettina, ihre Positionen zu verändern und sich dem Kamerablick, der durch das geschärfte Objektiv geworfen wird, anzupassen. Damit auch aufreizend scharfe Bilder für die Glotzer, die ihrerseits bereits scharf sind, gefilmt und gedreht, schlichtweg geschossen werden können.
Abseits steht Linda und beobachtete das Spektakel. Hin und wieder mahnt sie die Schauspieler an, sich ordentlich zu verhalten.
Spiel da mit deinem Ding nicht dumm rum
schimpft sie dann. Diese schwachen und unvollkommenen Darsteller sollen froh sein, daß sie jemanden wie Linda haben. Vorausgesetzt, es zahlt sich aus! Natürlich für Linda.
Der Regisseur steht in einer Ecke, schweigt und guckt. Wir hätten auch nichts anderes von ihm erwartet. Die Anweisungen gibt der Kamermann. Anweisungen, an denen sich die Darsteller festhalten können. Damit sie nicht rücklings aus der Szene fallen oder Details am Rande verlorengehen. Nicht jeder Zuseher verfügt über einen Breitbildfernseher, der ihm alle Bandbreiten entgegenspuckt. Manche Zuschauer müssen sich mit kleinsten Geräten zufriedengeben, die in einer stillen Ecke auf Einsatz warten. Die in einem Kämmerlein versteckt hin und wieder Bilder zu Tage tragen dürfen, sich ansonsten verschlossen halten und matt in die Welt hineinsehen, ohne mit der Bildröhre zu zucken.
Endlich sind Simon und Bettina in eine ordentliche Position gebracht. Sie mimen ein Frühstück vor der großen Terassentüre, die geschlossen die Kälte abhält. Die geschlossen frische, kühle Luft abschirmt, um die Hitze des Gefechts nicht zu stören. Die geschlossen störende Geräusche von draußen verstummen läßt, um der Synchronisation vorzubeugen. Und Vorbeugung ist die Mutter der Porzellankiste, genauso wie Linda die Mutter der Pornokiste sein darf. Die Kiste der Pandorra bleibt dafür einfach verriegelt, weil keine Sterbensseele damit etwas anzufangen vermag.
Noch kontrolliert der Kamermann das helle Licht, um es der Dunkelheit abzutrennen und ihm zueigen zu machen. Er forscht mit seinen zu Schlitzen geformten Augen, ob das Licht den Schauspielern auch den richtigen Ausdruck verleiht. Der Kamermann erfreut sich geradezu an der Ausrichtung seiner Scheinwerfer, wenn er wie ein kleiner Hilfsgott dem Schöpferischen eine Portion Schlagsahne draufpappen kann. Patsch! Da ist auch schon die Schlagsahne. Sie ist mitten auf Bettinas Brüste getropft. Also los! Action! Auf gehts, Jungs! Und schon beginnt das Spektakel. Der Kamermann fängt an, durch das Objektiv seines Geräts Blicke auf das Mädchen zu werfen, das sich da so hingebungsvoll vor seinen Augen verlustiert und gierig mit den Augen rollt, als gäbe es kein morgen. Das Mädchen, das heftig mit der Zunge an allem herumschleckt, das sich ihm in den Weg stellt, als müßte es alles mit der bloßen Zunge sauberlecken. Wie eine kleine Putzfrau, der der Wischmopp geklaut worden ist. Das Mädchen, das sich wie eine Artistin aus dem Circ de Soleil in alle nur erdenklichen Körperpostionen hieven läßt. In die Krätsche, in den Spagat und rücklings mit zwei gekonnten Rittbergern hinauf auf den Luster. Atemberaubend richtet sie ihre Beine horizontal aus, wirft sich mit einer septakulären Beckenbewegungen mitteinrein in ihr Glück und vollführt einen rekatlen Abgang ins eklatant Ekelhafte. Daß sie nur so schnauft und ihr Schweißperlen von der Stirn purzeln.
Ach, das gefällt euch jetzt wohl, wenn es heißt: Film ab und, Action bitte. Dann steht ihr ganz gebannt vor dem Fernseher und lugt in jede noch so kleine Ritze, die sich vor euch auftut. Alles muß für euch abgelichtet werden. Alles muß von euch gesehen und für euch gesendet werden. Alles, ohne Ausnahme. Wo kämt ihr da auch hin, wenn euch etwas entginge. Oder ein schwarzer Balken der Unkenntlichkeit euer sehnsüchtiges Auge trübt. Nein, das geht nicht. Das darf und muß nicht sein. Euch entgeht nichts. Höchstens was ab.
Simon drückt Bettina an die Wand bis sie
Au
schreit.
Au
und
Au weh
und
Au weh, au weh!
Bis sie nach ein bißchen Luft japst. Darf´s ein bißchen mehr sein? Nicht mehr Luft, mehr
Au
und
Au weh!
O jemine! Simon drückt weiter zu bis die Gevögelte die Vöglein zwitschern hört. Er drückt sie meisterhaft an die Wand und dann ordentlich durch. Er drückt ihr was rein und drückt es in ihr aus. Er drückt sich in ihr aus und verleiht ihr dadurch ein wenig Ausdruck. Darf´s ein bißchen mehr sein? Nicht Ausdruck, sondern Druck. Paß bloß auf, Simon, daß du sie dabei nicht ganz zerdrückst. Ja herraschaftszeiten, so gib ihr doch mal zwischendurch ein Bussl. Keine Sorge, sie hat vorher ein Tic Tac gelutscht. Nicht deins, aber eins. Und muntere sie ein bißchen auf, während du sie an die Wand klatscht. Sag ihr, daß sie eine Brave ist. Eine ganz Brave! Danke Simon, das ist nett von dir. Wirklich nett.
Bettina ruft weiter:
Ah! Ja! Au weh! Au ja!
Für sie genügt es, sinnlos in die Umgebung zu brüllen. Es genügt für sie, zu schreien. Und es genügt für sie, zu genügen. Nun aber genug! Schluß und aus und Cut! Irgendetwas stimmt mit Simon nicht. Was hat er bloß? Was grämt ihn denn so?
Obwohl sich Bettina die größte Mühe gibt, nützen all ihre Bemühungen nichts. Rein gar nichts. Alles, aber wirklich alles, bleibt lasch und lose und hängt dumm rum im Raum. Simon, was ist denn los? Los! Mach mal, mach schon, mach hin! Wir haben geglaubt, in deinem Körper ist Leistung gut aufgehoben. Weil doch dein Körper dein Kapital ist! Das Kapital sehen wir noch, aber deine Leistung hast du verloren. Hast du sie nicht gründlich aufgehoben? Derart gründlich, daß dein Körper außerhalb deiner Leistung gar nicht mehr existiert. Gar nicht mehr existieren darf! Hättest du die Leistung nur abgesperrt und den Schlüssel weggeworfen! Nun ist alles futsch. Was soll da jetzt noch flutschen? Ach Simon, das hätten wir nicht gedacht. Mach doch was! Mach doch hin! Ein bissel was geht doch immer! Und Zeit ist Geld. Deine Zeit ist Lindas Geld. Geld, das sich die Produzentin am liebsten in ihre Manteltaschen packt. Werk mal mit deinem Werkzeug, das dir so großzügig geschenkt wurde! Daß dir unentgeltlich an den Leib geschnallt und getuckert wurde, damit du ordnungsgemäß damit tuckern kannst. Produziere dich doch endlich für die Produktion! Produziere dich rasch, weil die Zeit und das Geld dich drängen. Dich und die Produzentin. Die Produzentin und Elisabeth Arden, die mit neuen Maskeraden auf ihre Bezahlung wartet. Maskeraden, die Lindas Körper umgestalteten, um die selbe zu bleiben. Die selbe, die sie schon vor Jahren gespielt hat und noch in Zukunft in Betracht zieht, zum Besten zu geben. Also gib dein Bestes, denn das Beste ist gerade gut genug für die Produzentin und die Kamera, die da drüben auf dich lugt. Oder hat dir was nicht gut getan? Tut dir was nicht gut, du Tunichtsgut? Deine Standhaftigkeit läßt wirklich zu wünschen übrig. Das muß in deiner Akte, in deinem Karteiblatt vermerkt werden. Ja, das muß es und bloß keine Widerrede! Den Beweis trägt schließlich ein unbeschnittenes Band. Ein Band, das sich durch alle dunklen Ecken zieht und alle heimlichen Gucker miteinander verknüpft, während diese Glotzer mit ihrer Nähnadel in der Luft Maschen häckeln, um sich eines Tages frierend das Selbstgestrickte überzuwerfen.
Simon, du wirst doch mit deinen dreiundzwanzig Jahren noch keine Alterserscheinungen haben, oder? Mit dir hat Linda noch ein paar videographische Meisterleistungen der Bareinnahmen vor! Na gut, mit Scheck oder Kreditkarte darf auch gezahlt werden, die Arden wird schon einverstanden sein.
Mit hochrotem Kopf verläßt Simon das Set. Das Blut ist ihm in die Schädeldecke gestiegen. Und was man im Kopf hat, muß in der Lende zwangsläufig für Langeweile sorgen. Simon schafft nicht einmal seinen Rumpfaufsatz demonstrativ zu schütteln. Ganz entsetzt über sein Mißlingen, drückt es ihm die Augen fast aus dem Kopf. So groß kann man doch gar nicht gucken, wie Simon jetzt glotzt. So blöd kann man doch gar nicht in die Welt hineinsehen, wie Simon jetzt aussieht. Da sind wir schon enttäuscht! Du hast uns enttäuscht, Simon! Du hast uns unsere Täuschung geraubt, Simon! Du bist ein böser Bub, Simon. Ein schlimmer Schlingel mit einem schlaffen Schlingerl! Ja, reimen können wir auch dann noch, wenn wir enttäuscht sind.
Simon geht als gefallener Ritter mit gebrochener Lanze von den Brettern, die den Pornohimmel verheißen. Sofort heftet sich die Reporterin an ihn und läßt nicht mehr ab. Wie eine Klette, die mit den disteligen Borsten die Haut des jungen Pornodarstellers durchdringt, um ans Eingemachte zu gelangen. Und um das Eingemachte genüßlich auszuschlachten und am Ofengrill der Tante Klara mit der wenigen Glut, die geblieben ist, zu rösten. Geröstete Leber läßt sich als Delikatesse versehen, doch erst ein verschmortes Herz erregt die Zuseherzahlen. Florentins Hand reißt den bloßen Simon, der sich naturbelassen nun vor ihrer Kamera auftut, an sich. Sie zieht ihn an sich heran. Ganz schön forsch, diese Reporterin. Und ganz schön frech. Richtig eigenständig und eigenwillig. Kann die leicht für sich selbst denken? Und ihr Schicksal allein lenken? Kann sie das? Darf sie das? Hat ihr das jemand erlaubt?
Die Reporterin sucht mit Simon im Schlepptau eine stille Kammer auf. Ein kleines Zimmerchen, in dem man sicherlich das Dienstmädchen der edlen Villa das eine oder andere mal aufjauchzen hat hören, wenn man das Ohr, gewußt wie, in die Luft gereckt und gestreckt hat. Dann wird Simon von der Reporertin dem persönlichen Interview unterzogen. Der dienstsicheren Mund-zu-Mund-Befragung. Und sogleich wendet sie sich dem ledierten Corpus Delicti zu, nach dessen Stärke man gerne Ausschau hält. Und den gefallenen Krieger, den Hektor ohne Heck, bringt sie sicher in den Hafen, in ihren geifernden Schlund. Um das Segel zu setzen. Um Meeresbrisen in das Segel zu blasen, bis es sich starr im Wind zu biegen vermag und neuer Kurs gesetzt werden darf.
Na, das geht aber flott! Wie von selbst! Alles wieder da, alles standhaft, alles bestens. Florentin und Simon verlassen die Kammer, das Kämmerlein, das kleine, in dem alles wieder die nötige und notgeile Größe erfahren hat, um ans Set zurückzukehren und Simons Mißgeschickt gekonnt an der kleinen Lurch wieder auszubügeln. Und als Simon so vor sich hinbügelt, damit alles glatt läuft und sich Bettina mit Kopf und Kragen dem heißen Eisen hingibt und sich mehrmals aufs Kreuz lägen läßt, wünscht sich die Produzentin, auch wieder jung zu sein.
Mein Herz ist noch jung und dampft
redet sie sich selbst zu.
Mein Herz ist noch jung und dampft, auch wenn ich selbst inzwischen älter und etwas gedämpfter bin! Also her mit der Wimperntusche, solange noch Zeit ist. Und her mit dem Abdeckerstift, ich meine den Abdeckstift für die Falten. Ach, auch egal. In hundert Jahren gibts keine Küsse mehr, da gibt´s Liftings satt! Und bis dahin tarne und täusche ich eben, was das Zeug hält. Und was ich hier am Set sehe, gefällt mir sehr, es hat sich gelohnt, soviel kann man jetzt schon sagen. Ich trete lieber einen Schritt zurück, um bloß nicht von dem unbändigen Menschenknäuel versehentlich getreten zu werden. Ja, ich trete zurück. Aber nur einen Schritt. Noch trete ich nicht ganz ab, soviel ist sicher. Soviel steht fest, solange es dort drüber noch lange fest steht!
Schließlich wird Drehschluß und Feierabend verkündet, daß die Darsteller nur so munter in den ersten Stock laufen, um sich zu duschen und sauberzuwaschen von dem Dreck, der so viele begeistert. Ja, noch sind ihre Körper so frisch und jung und duften auch noch so fein. Ganz fein. Richtig pipifein!
Aber eines Tages einmal, wenn ihre Zeit gekommen ist, wird es ihnen leid tun, daß sie einen Körper haben. Wenn sich kein Groschen mehr aus ihren Körper schlagen läßt, wird es ihnen ganz schön leid tun. Ganz toll leid tun. Doch davor haben sie ihren Körper wenigstens unheimlich lieb gehabt!