AUGENBLICK
Variation aus dem Theaterstück "Sternenherz, auf ewig", uraufgeführt am 16.11.2001 in Linz
© Alexander Pöll
Der Tod nochmal? Vielmehr das Leben! Romeo, Romeo, sieh mich an, wieder am Balkon, mit meinem munteren Körper und meiner lachenden Seele! Und du erneut von lieblichen Schwingen zu mir geführt, nichts und niemand kann uns nunmehr wehren. Und unsere Liebe wagt, was irgend Liebe kann, für immer! Wir sind´s, für wahr. Von Leben erfüllt, kein Dolch, kein Gift, nur wir zwei, zusammen.
Romeo, all die Welt unter uns! Wie weit der Blick fällt von hier oben! Viel weiter als ich glaubte. Die Ferne ganz nah, das Leben so echt, frei der Atem! Und das Leben, was ist es uns nun? Jetzt, wo wir unserem Schicksal entronnen sind? Fängt es von neuem an, wie von uns erhofft? Dem Himmel sei Dank, daß dich dein Herz einen Moment lang so geschmerzt hat, sonst hättest du bereits das Gift getrunken, ehe ich dir in die Augen blicken hätte können. Doch ich sah, ich sah dich, an meiner Seite. Und habe dir tausende Worte in einem einzigen Blick zugesprochen. In meinen Augen die Sterne, leuchtend. Ich dachte schon, dich für immer in die Ewigkeit verloren zu haben! Doch nun die Ewigkeit vor uns, gemeinsam, zusammen, wir zwei, ein Leben, das uns Wunsch war und nun beständig wurde!
Doch wo fangen wir nun an, da unsere Geschichte doch für alle zu Ende gegangen scheint? Da uns keiner mehr kennt und sich uns kenntlich zeigt? Wohin laufen wir jetzt? Auf den höchsten Berg, an´s Ende der Welt, um getrost unseren Frieden zu finden? Entfliehen wir gemeinsam der Welt, um unsere eigene zu finden? Gezimmert aus den Sternen, die uns zueinandertragen, aus dem Mond und dem Wind! So schenk mir all die Sterne, Romeo. Alle Sterne, hier am Blätterdacht, am Gartenhaus, auf ewig! Laß uns den Wind berühren, am Blätterbaum, auf dem Gartendach, in diesem Augenblick! Daß nachts der warme Wind unsere Liebe erneut zum Blühen bringt! Wir zwei, gemeinsam, den Mond küssen! Am Baumgras, im Sternengarten, für immer. Wie wandelbar der Mond, so wandelbar der Zeiten Lauf. Daß wir beide, du und ich, wir zwei, die Nacht erträumen, unter den Blättersternen, auf dem Dachgarten, jetzt und hier.
Doch still, hörst du den Lärm in der Ferne? Wohl ein Gefolge, das uns sucht! Sind´s deine Eltern? Oder meine? Was sie wohl planen, wenn wir erst gefunden? Erneuter Streit? Sind wir ein weitres Mal in Ungnade gefallen? Kein weitres Mal, noch immer! Drum fort, Romeo, fort. Daß unser Glück nicht aufgedeckt! So wie ich plante, meiner Hochzeit zuvor: wir zwei, entschlossen und allein, entfliehn den Vettern und Verwandten. An einen fernen Ort, wo unsre Liebe Heimat findet! Wo der Rosen Duft unsere Liebe tönt! Wo unser Bett aus Rosenblättern unsrer Liebe Zuflucht ist! Nun also fort, Romeo, laß uns eilen, die Nacht ist nicht mehr lang!
Zu spät. Morgen ist. Die Sonne wirft ihre himmlischen Schatten auf Bäume. Und die Bäume ihre irdischen Schatten auf uns. Da sitzen wir nun. Im Torbogen. Im verborgenen Schatten neben dem Gewässer. Dem Fluß, der an uns verüberzieht. So, wie das Leben.
Ach Romeo, kein Wort, keine Tat, nichts wendet den Unstern dieser Nacht. Ein letztes Mal fort, ein Stück? Nur ein paar Schritte. Unsere Liebe mag noch so jung und frisch, voller Kraft, wie neugeboren, heute Nacht, doch ohne Ziel. Ohne Weg. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Wie der Streit unsrer Familien, wie deren Ende, so unsternbedroht lebt unsere Liebe!
All unsere Träume um uns, aber die Welt fast leer. Doch dein Atem in meinem Nacken, weich wie ein Sonnenstrahl, ein einziger im Wolkenblätterdach. Deine Hand auf meinem Bauch, haltend, sorglos, um mich, an mir. Meine Gedanken über dem Horizont, doch näher als sonst, lichter als zuvor gedacht. Trauriger als geglaubt. Ein Hauch über meinem Kopf, nachtblind. Erfaßt er uns? Trägt er uns fort, wie von selbst, an seiner Seite? Daß es mir im Herzen die Tränen sammelt! Daß mir deine Sehnsucht nur so aus dem Gesicht läuft. Mein Herz freigefesselt. Überlaufend an grenzenlose Ufer. Die Ferne mit den Sternen gesucht, am Morgen, wenn der Sturmwind das Wasser streift. Wenn der Gedanke an meinen Wangen vorüberstreicht und meine Lippen berührt.
Wer bist du, der du dich an mich gelegt hast. Der du mich mit deiner Hand zudeckst. Heute, jetzt, in diesem Moment. Auch länger? So zeitlos wie mich dein Blick fängt? Was bist du mir nur, daß dir nichts standhalten kann? Was bist du mir, daß mir ein ganzes Leben fehlt, um die Antwort zu finden? Die Monde aller Jahre, um deine Nähe einzufangen. Die Sonnen aller Tage, um deinen Händen zu folgen. Die Sterne aller Zeiten, um deine Augen nicht zu verlieren. So viel und noch mehr legst du an meine Seite, in einer einzigen Berührung bloß, einer stillen, irgendwann. Deine wolkenlosen Küsse, sanft, an meiner Stirn. Deine Umarmung, zudeckend. Daß allen schutzlosen Nachttagen ein Nimmermehr geschenkt wird. Gewünscht auf ewig, gehofft in der Endlosigkeit zu versinken.
Und ich, wie wußte ich keine Augenblicklichkeit zuvor besser, was mir das Leben nun. Kein Fremdling mehr. Kein Aufbruch allein, die Trauer gemeinsam. Denn du bist. Mein Kopf an deiner Schulter. Mein Halt an deinem. Unser Blick auf einer Reise. Augengleich. Atem in allen Gedanken. Wortlose Tränen an den Wangen und Händen, die uns zueinander tragen.
Wieder das Schicksal über uns. Eingeholt, obwohl wir so schnell liefen! Dem Lauf der Zeit vermögen wir nicht zu trotzen, selbst wenn wir ihm all unsere Liebe entgegenstellen. Wie eine Luftmasche knüpfen wir uns aneinander. Doch unser Luftschloß ist zerplatzt. In diesem Moment. Da wir uns ins Unermeßliche wünschen. Die Rosenblätter am Boden. Sie schneiden sich mir durch die Seele. Erneut das Gift? Erneut den Dolch? Daß wir nun doch davongetragen, schneller, als jemals gedacht.
Also wieder der Tod, die einzige Flucht. Zum letzten Mal beeinander verweilt, für einen Augenblick. Und nun von dieser Welt in eine andere. Dort vereint? Wir zwei, in Liebe, himmelwärts. Wie Wolken frei, sodann auf ewig! Am Firmament als Sternenherz.