Rauschtempo


Ist Intensität mit Tempo gleichzusetzen? Mit Lautstärke? Bis zu diesen Fragen: ja. Oder Täuschung womöglich? Wo möglich? Jedenfalls erwachte Aufmerksamkeit voraussetzend. Stimmungsabhängige Intensität als Laune eines schwindenden Vorrates an Gegenwart? Entschieden zu viele Fragen für einen rauschdurchpulsten Klangkörper. Ist Intensität eben dieser Rausch, hervorgerufen durch Abwechslung? Vielfalt? Mehr wollen. Immer mehr. Wenn das Denken der Realität in Bezug auf Geschwindigkeit unterliegt? Wenn die Augen mehr einsaugen als das Denken verarbeiten kann: Ist es das, wonach gesucht wird? Eine Flucht, mitten hinein in den zukünftigen Moment, den es so nicht geben kann? In Erwartung der Umkehr verletzender Gegensätze benebelt in der Dunkelheit zusammensinken, hinter sich die rasenden Bilder des Tagerlebten spüren, die alles Denken überholen wollen?

Das Befinden mag beladen sein, wenn die äußeren Reize einwuchern, und die Zivilisationsspuren ausgerottet. Wollen. Immerzu - (dreh dich im Kreis, immerzu ...) - das Sinnen, dieser domestizierte Wildwuchs an Erlebtem, furchtbar furchtlos allem und jedem gegenüber. Keine Versuche zu schwinden (keine Suche zu verschwinden), wenn das bereinigte Ich die Nacht ohne Beißkorb und Leine durchstreift. Ein Dasein an sich, nicht länger festgefressen im rostigen Alltagsgewinde. Was rostet, das röstet. Im Denkfeuer nämlich, das da so lichterloh im Takt des Herzschlags flackert.

Denk mich, denk dich, denk nicht. Alles eins; dasselbe. Was da in uns niederprasselt, davon machst du dir keine Vorstellung; womöglich reiner Selbstschutz. Den Gedankenspiralen keinerlei Nahrung geben, keinen Platz einräumen. Vollkommene Finsternis sei ohnedies ein ständiger Begleiter, hast du gesagt. Wie erloschene Klänge und durchlebte Räume.

Wenn sich Töne tranig im Halbdunkel räkeln und Knäuel von Akkorden sich ins vorgetäuschte Nichts der Erwartung entwirren, wird es Tag in meiner Herkunft. Und dann spielt es keine Rolle - (grundsätzlich niemals) -, was sich ereignet hat.

Teil eines geräumigen Ganzen mag die Bestimmung sein, lebenslang schmerzhaft gefiltert durch den Abschaum einer Schmutzexistenz, sagen die Buchstaben. Die Sonne? Rot und schwanger wuchtet sie sich empor, sodass Schatten behäbig aus der warmen Sommerluft treten. Während sich Melodien um alles Ungesagte ranken, genauso, wie sich der Dschungel ungezählte Ruinen einverleibt hat. Sie jahrhundertelang verdaut, bis irgendwann Behausungsgerippe Anklage erheben.

Und das Ich löst sich endlich auf im gnädigen Takt der Überforderung: Was da untragbar zwischen meinen Schultern hängt, ist zweifellos mein Kopf. Randvoll mit Bildern; ein Rückstau von Klängen wartet an beiden Ohren auf Einlass. Staugefahr ohne Vorwarnung.

So wird es (wieder) sein: Die Ernte besteht in strohigem Unverstandensein, das gelegentlich wie Zunder brennt. Stoppelfelder der Verirrungen, über die es unter stechenden Schmerzen zu laufen gilt. Nicht nebeneinander, mein Licht!

Was aber, wenn ein solches Nichts den Urknall begründet? Einen Schnabel voller Gedankenwürmer bringt man heim ins Schlammkugelnest, genannt Gehirn. So viel Abgewandtheit überall. Widersprüche im Einklang mit dem Unverstand-Ganzen, innerlich zumindest.

Ein beginnender Film von außen, ein Tusch (meinetwegen auch Gong), gezielt, um die Gemütstollwut kleinzukriegen. So nicht. Die Dunkelheit, die uns zum Verstummen bringt, wurde noch nicht erschaffen.

(Doris Krestan; Sommer 2000)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

WOYZECK (erstickt.) Immer zu -- immer zu! (Fährt heftig auf und sinkt zurück auf die Bank.) Immer zu, immer zu! (Schlägt die Hände ineinander.) Dreht euch, wälzt euch! Warum bläst Gott nicht die Sonn aus, daß alles in Unzucht sich übereinanderwälzt, Mann und Weib, Mensch und Vieh?! Tut's am hellen Tag, tutīs einem auf den Händen wie die Mücken! -- Weib! Das Weib is heiß, heiß! -- Immer zu, immer zu! (Fährt auf.) Der Kerl, wie er an ihr herumgreift, an ihrem Leib! Er, er hat sie -- wie ich zu Anfang. (Er sinkt betäubt zusammen.)

(Aus "Woyzeck" von Georg Büchner)

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