nachtleben


"an der schönen blauen donau" pfeifend geht man durch den Tiefen Graben im 1. bezirk. wird plötzlich von hinten gepackt. von einer frau im hubertusmantel. kein donauweibchen. sondern eine ausgewachsene lodenperson ohne gesicht unterm hut. die dunkelgrüne lockert ihren griff keineswegs. man ringt nach luft. ausgepfiffen. raunt sie viel zu nahe. man spürt ihren atem im genick. ein tritt ins hinter lodenfalten verborgene schienbein. und man rennt. rennt. dreht sich nicht um. niemand wäre zu sehen.


in Baden gibt es ein casino. dort langweilt man sich gegen entgelt. schaut fetten frauen beim balzen zu. schaut herausgeputzten herren beim balzen zu. leitkulturmäßig. alles balzer. opernballmäßig. wo wird die kugel hinrollen. sollte man wissen. sollte einen interessieren. fremdes geld verspielt sich gleichgültig. an der garderobe wurde einem eine schwarze schlüsselanhängerkatze aufgenötigt. weil der 13. ist. was insgesamt glück bringen soll. dem casino zumindest. um mitternacht lichtspiele an der fassade. ein glas sekt. und noch eines. der begleiter will freude sehen. das geld ist versiegt. man geht also im park spazieren. ein leerer musikpavillon schweigt mit. kalt ist es.


nahe dem Augarten sieht man einen begehrten. gestalten umringen ihn. einem von kopf bis fuß verhüllten sprießt blitzschnell ein schwert aus den erhobenen händen. damit spaltet er dem begehrten den schädel. kein blut. die obere kopfhälfte fällt zu boden. zwei verdrehte blaugraue augen starren ausdruckslos nirgendwohin. der restkörper spielt keine rolle. und wäre übrigens gar nicht vorhanden. er kommt gerade aus seinem leben. neugier ist auch kein gefühl.


man befindet sich in einer fremden wohnung. soll eine katze füttern. man legt sich aufs fremd riechende sofa, deckt sich zu und döst. mamilein ist nicht da. geschrei. die nervensägende stimme von Oskar Matzerath. nein. David Bennent aus Volker Schlöndorffs verfilmung der "Blechtrommel". mamilein ist nicht da, mamilein ist nicht da. durchdringend. gellend. das katzentier schreit ungehalten und schlägt die krallen in die decke. man versinkt im sofa und entkommt.


erwachen in fremdem bett. ortsuchend. menschsuchend. man gutenmorgt. samtstimmenantwort. frühstücksfrage. angezogen hat man sich hingelegt. nackt ist man nun aber doch. und nicht allein. das frühstück kann warten. man schickt die liebe in die zukunft. manchmal klingt sein lachen nach liebe. obwohl es nicht soll.


eine siedlung irgendwo am stadtrand. mit einer mutter neben sich eilt man dahin. die mutter nörgelt. die mutter fordert. aus dem unsichtbaren elternhaus dringen auch mutterschreie. eigene. man wendet sich zum anklagegesicht. du bist nicht meine mutter. entlarvung. die gestalt verflüchtigt sich. wimpernschlagkurz sieht man ein lichtschluckendes ungetüm ausfransen. dich kriegen wir auch noch.


man hängt an einer oberleitung. konkret hält man sich an den henkeln eines über die stromleitung geworfenen plastiksacks fest. man gleitet seilbahnartig über der Breitenleer Straße dahin. wie fliegen fast. nur über das herunterkommen macht man sich zunehmend gedanken.


an einer haltestelle wartet man mit einem unbekannten tenor. sein dauerschal verwelkt am hals. kein bus weit und breit. man wünscht sich fort. ein lastkraftwagen hält an. weil der fahrer den tenor nicht gesehen hat. auf weibliches mitfahren hofft. künstlerpech. der tenor impft einem einen gierigen kuss auf den mund. frontalangriff. überrumpelt. der fahrer und man selbst. der tenor flattert in den lkw. schlägt die tür zu. winkt. man winkt nicht. warum auch. weg ist gut. in diesem fall immerhin.


im Stadttheater Baden sitzt man neben dem unentdeckten tenor. warum weiß man selbst nicht. oder doch irgendwie. seine mutter steht nämlich auf der bühne. welches stück. keine ahnung. bilder keiner ausstellung. endlich fällt der vorhang. der tenor applaudiert übernachhaltig. mit hässlichen händen. die leute starren aus allen richtungen. er klatscht wonnetrunken. minutenlang. man schämt sich. wird gnädig vom plüschsitz verschlungen.


ein verzögerter abschied. denn keinmal ist zweimal. vorletzte brandwundenworte irgendwo zwischen bett im kopf und außenwelt im benehmen. nach den fotos der akt gewissermaßen. man zerwühlt mit abgelichteten händen den abstand. schieben. man wird geschoben. man lässt sich fallen. übereinander. ineinander. lippen erringend. nicht von liebe sprechend. untersagte gedankenlosigkeit. geschlossene augen. wie damals im herbst. wieder in wien. beide. zurück im nicht von liebe sprechen. und trotzdem. auf bedeutungslos hartem boden einmal. auf bedeutungslos weichem bett einmal. immer hübsch bier trinken und nicht von liebe sprechen. denn man ist angeblich vernünftig. und wurde doch stürmisch gegen die wand gedrückt.


man liegt auf dem rücken. starrt dem arzt zwischen die augen. denkt nicht. unterschreibt. wie es verlangt wird. dass man vom sterben kenntnis hat. für den möglichen fall. nach und in schmerztagnächten ist alles recht. alles. man wird auf der bahre durch ein hellerleuchtetes labyrinth geschoben. am boden sitzt ein grünbekittelter. er telefoniert. seine normalität ist eines anderen ausnahmezustand. lampen. wände. türen. vorbei. in den operationssaal. für die rückenoperation wird man umgedreht. kippbare op-liege obendrein. man versteht. spitalsmenschen kommen herein. jemand spricht von einer blumenwiese. routine. narkose.
ein körper erwacht. ein geist sickert widerwillig zurück hinein. man öffnet die augen. im blickfeld hängt eine uhr. und man muss auch schon wieder radio hören. man lebt.

(Doris Krestan; 02/2005)