WARUM DIE RATTEN IN REISLAGER EINDRINGEN

Einst waren Ratten das einzige Transportmittel in Vientiane. Überall sah man die dickleibigen Tiere ihre Lasten durch die Straßen des Landes schleppen. Bezahlt wurde in Reiseinheiten oder anderen Naturalien. Freundlich waren die Tiere und nie wurde ihnen die schwere Arbeit zu viel. Die Ratten waren in allen Bevölkerungsschichten hoch geachtet und jeder schätzte ihre flinken Dienste.

Eines Tages brachte ein schlauer Kaufmann von seiner Reise ein Tuck-Tuck mit. Wie staunten da die Bürger der Stadt! Wie viel mehr ließ sich doch mit so einem Fahrzeug transportieren! Sogar im Regen konnte man unterwegs sein, ohne nass zu werden.
Man beauftragte den tüchtigen Geschäftsmann weitere dieser neuen Transportmittel einzuführen.

Und bald bestimmte das bunte Gefährt das Straßenbild der Hauptstadt. Währenddessen lagen die Ratten geduldig im Schatten der Teakbäume und warteten auf Fahrgäste. Als diese immer seltener ihre Dienste in Anspruch nahmen, wurden die Tiere zunehmend hungriger, denn sie waren es gewohnt, von den Menschen ernährt zu werden. Schließlich machten sie sich auf in die Reislager der Bauern, um nicht Hungers sterben zu müssen.

Doch die Ratten hatten damals die Größe eines Ponys, so dass die Schäden in den Reisspeichern bald nicht mehr zu verkraften waren.

Die Menschen wurden ratlos und suchten nach einer Lösung, sich von den riesigen Schmarotzern zu befreien. Natürlich wollte keiner mehr auf die Tuck-Tucks und die vielen anderen Verkehrsmittel, die man inzwischen massenhaft importierte, verzichten.

So zogen sie in die schönste Pagode der Stadt und beschenkten den Abt mit vielen Kostbarkeiten und flehten ihn um Hilfe an.

Der Mönch erbat sich drei Tage Bedenkzeit, um den Rat der Götter einzuholen.

Am dritten Tag kamen die Einwohner wieder. Der weise Abt sprach zu ihnen:

„Liebe Bürger der Stadt Vientiane, ihr habt die armen Tiere beleidigt, indem ihr ihre Dienste verweigertet. Sie werden niemals wieder eure Freunde sein können. Da sie euch aber so viel Schaden zufügten, soll euch geholfen werden: Die Ratten seien von nun an verwandelt in kleine graue handgroße Nagetiere, die nur in der Nacht aus ihrem Bau hervorkommen.
So werden sie euch zwar weiter Schaden zufügen, aber ihr könnt es lernen, euch vor ihnen zu schützen.“

Seit dieser Zeit tummeln sich nachts unzählige Ratten in den Reislagern des ganzen Landes.

 

(von Martina Khamphasith)