Das Leben des Hiasbichler


Der Erzbischof trank genüsslich ein Schälchen Kaffee. Er war sehr entspannt, seit seine Köchin ihn mit aller Gewalt massiert hatte. Ein bisschen Sadismus muss sein, dachte er sich. Beim Mittagessen im Plaza verging ihm die gute Laune. Ein Bruder im Geiste knallte ihm ein Buch vor den Latz. "Das Leben des Hiasbichler" lautete der unerhörte Titel des Machwerkes. Sofort schlug er es auf, und las es von Anfang bis Schluss. "Skandal", intonierte er dann. "Skandal. Was für ein Alptraum ist hier wahr geworden. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Der Mann weiß gar nicht, was er mir damit antut." Bei diesem Buch handelte es sich nicht unbedingt um ein literarisches Meisterwerk. Es war mehr ein Comic ohne Seifenblasen. Hiasbichler´s Leben wurde von Geburt bis zum Verschwinden in einem unbekannten Kloster mit herrlichen Zeichnungen dargestellt. Als Knabe war sein Haar noch voll. Er war ein Blondinchen und trug gern Mädchenkleider. Älter geworden glich er dem Glatzenmichel, der er mal als Baby gewesen war. Hiasbichler erregte sich, bis er zum Kotzen den Abort aufsuchte. Kreidebleich kam er zurück, und verließ die feine Tischgesellschaft, um sich in sein Arbeitszimmer im erzbischöflichen Palais zurückzuziehen, und einen triumphalen Artikel zu schreiben, der die Wahrheit ans Licht bringen sollte. Abends bekam er Besuch von einem lieben Journalisten, der überrascht über die Erregung seines Freundes war. "Ach was, Hiasbichler! Ist doch ganz lustig, und bringt deinen Namen mal auf das Titelblatt unseres Monopolblättchens. Freue dich drüber. Ist wunderbar!" Der Erzbischof trank einen kräftigen Schluck Rotwein, um nicht vollkommen die Beherrschung zu verlieren. "Erhard Haberer hat die Absicht, meinen Ruf zu ruinieren. Er lacht sich eins, während ich zur Witzfigur degradiert werde." Gottfried Lauthals lächelte in sich hinein. "Ich finde das Buch gar nicht so schrecklich. Sicher, teilweise vielleicht ein bisschen überzogen." Hiasbichler hatte bereits einen leichten Rausch, und rülpste seinem Freund nicht gerade freundlich ins Gesicht. "Ich habe nie Drogen genommen und mich mit Jesus gleichgesetzt", sagte er und lief schnurstracks Richtung Abort, um sich nochmals auszukotzen. Als er zurückkam, hielt Lauthals den Brief in der Hand, und lachte lauthals. "Freund Hiasbichler, damit übertriffst du dich selbst." Er umarmte den Angesprochenen, und trank mit ihm Bruderschaft. Erst als beide einander im Rausch zu übertreffen suchten, hatte der Journalist eine Idee. "Du schickst diese Zeilen an die Konkurrenz, und ich schreibe dafür einen Artikel für mein Blatt, das ohnehin fast jeder Österreicher liest." Was für eine Freude kehrte da in das Herz des Michael Hiasbichler zurück. "Ja, prima Idee. So machen wir´s."

Am nächsten Tag war auch bereits der Gastkommentar des Erzbischofs in "Der Bote" zu lesen:
"Lieber Herr Haberer!
Was haben Sie sich dabei gedacht, um Gottes Willen! Mein Leben als Erzbischof derart in den Dreck zu ziehen. Ich, Michael Hiasbichler, meines Zeichens Erzbischof, protestiere gegen diese Spottschrift! Sie meinen also, lieber Herr Haberer, ich hätte bereits als Kind gerne Benzin geschnüffelt und später den Drogen den Vorzug gegeben. Zum Teufel, von wo haben Sie diesen Unsinn her, frage ich Sie. Ich vertrete keine linkslinke Linie in politischer Hinsicht, da liegen sie ausnahmsweise richtig. Aber inwieweit soll ich mich dazu berufen fühlen, rechtes Gedankengut in das Kirchenvolk zu streuen? Sie zeichnen mich bei meiner Krönung zum Bischof mit einem goldenen Klobesen auf dem Kopf; sollte ich darüber wirklich lachen; finden Sie das zum Losbrüllen? Lassen Sie dieses Buch aus dem Verkehr ziehen, und ich verzeihe Ihnen bei einem guten Glas Rotwein. Ansonsten werde ich gerichtliche Schritte gegen Sie einleiten lassen. Schließlich handelt es sich ganz eindeutig um üble Nachrede und Missbrauch eines Schutzbefohlenen! Gehen Sie in sich, und verurteilen Sie mich nicht, als wäre ich der Teufel höchstpersönlich. Hochachtungsvoll Michael Hiasbichler"

Gottfried Lauthals las seinen Kindern immer wieder aus dem Bilderbüchlein von Erhard Haberer vor. Und wie sie lachten! Ganz besonders lachten sie über die Szene im Fundbüro, wo der sehr verehrte Erzbischof einen Ring im Werte von 50.000 Euro suchte, der ihm offensichtlich beim Streicheln des pausbäckigen Bübchens vom Finger geglitten war. Oh, wie sie lachten, die Kinderchen des Journalisten Lauthals. "Ist der nicht dein Freund?" Seine junge Frau drückte ihm einen Gutenachtkuss auf die spitzen Lippen. "Ja, ist er. Und deswegen werde ich mich gegen seine Verunstaltung wehren. Das bin ich ihm als Freund schuldig."

Drei Tage später bezog sich auch bereits die Kolumne im "Schilling" auf die Wiedergutmachung des angeschlagenen Rufes eines Kirchenfürsten:
"Mein lieber Freund Hiasbichler, seines Zeichens Erzbischof, hat mir bei einem delikaten Schmaus mit Rotwein von seinem Leid erzählt. Ich las das profane Werk, das Erhard Haberer verfasst hat, und konnte meine Wut nur schwer zügeln. Es wäre lustig, wenn Haberer den einen oder anderen Schmäh gemacht hätte. Was er aber aufführt, geht auf keine zerfressene Kuhhaut mehr. Mein Freund als rachsüchtiger Engel, der den Mitbrüdern eins auswischen will. Mein lieber Erzbischof als drogensüchtiger Ritter des Teufels mit vollen Hosen, weil er den richtigen Namen des Papstes nicht aussprechen kann. Und am Ende dieses schrecklichen Machwerkes ist Michael so verbittert darüber, nicht selbst Papst geworden zu sein, dass er sich in ein Frauenkloster zurückzieht, und nur hie und da Männerbesuch bekommt. Ist das wirklich lustig, oder nicht doch eher pervers? Das Büchlein könnte dem Ansehen unserer Kirche noch größeren Schaden zufügen, als sie es selbst schon vermocht hat. Ja, die Kirche ist eine große Sünderin, das wissen wir alle. Aber der Erzbischof Hiasbichler als Witzfigur mit einer Kastratenstimme? Ich bin für die Wiedergutmachung von Freund und Erzbischof Hiasbichler und arbeite diesbezüglich bereits an einem Buch, das jenes von Erhard Haberer in den Schatten stellen wird."

Es war also heraußen. Und die Nation stritt sich ungeheuer wegen dieser zwei Artikelchen. Eine Klage der Staatsanwaltschaft wegen Verächtlichmachung der Person Hiasbichler wurde gegen Haberer eingebracht. Die Bischofskonferenz verteidigte mit aller Kraft den geschmähten Bruder im Geiste. Lauthals trat acht Wochen später überall im Fernsehen auf, weil er ein Werk über das Leben des Haberer geschrieben hatte, das fast noch tolldreister war als die lustigen Zeichnungen des öffentlich zur Buße Ausgeschriebenen. Aber es half nichts. Der Ruf des Erzbischofs Michael Hiasbichler war ruiniert. Er zog sich daraufhin in ein Frauenkloster in den Bergen zurück, und Erhard Haberer behielt mit seiner Darstellung recht. Seitdem tritt an Stelle des Michael Hiasbichler dessen Bruder Christoph Hiasbichler in der Öffentlichkeit als Erzbischof auf, was diesem als Schauspieler und Schmähtandler nicht schwer fällt. Der eigentliche Erzbischof Hiasbichler schreibt mit Akribie an einem Werk, das die rechten Anschauungen der Kirche wieder ins rechte Licht rücken soll. Einstweilen lachen sich die wenigen toleranten Geistlichen der Nation einen Ast ab und spielen mit ihren Ministranten Fußball.


(Jürgen Heimlich)