Eine Mußestunde mit Kommissar Zaungast


   Die Begegnungen zwischen Kommissar Zaungast und seinem Assistenten Schwanz waren für gewöhnlich rein dienstlicher Natur, die Fälle, wo sie sich auch in ihren Privatsphären mal berührten, die waren äußerst rar gesät. Über eine dieser seltenen, gemeinsam verbrachten Mußestunden möchte der Chronist hier nun seinen Lesern berichten.

   "Tag, Chef, seien Sie mir herzlich willkommen und treten Sie ein", begrüßte Herr Schwanz seinen Vorgesetzten, nachdem er ihm die Tür geöffnet hatte.
   "Guten Tag, Herr Schwanz", sagte Zaungast förmlich, "was steht denn so auf dem Programm heute?"
   "Zum Glück nichts Dienstliches, Chef."
   "Also eine ... äh ... Mußestunde?"
   "Ja, so könnte man es durchaus nennen. Bitte hier entlang, Chef."
   Die beiden Kriminalen traten in ein im Stil der fünfziger Jahre eingerichtetes Wohnzimmer. Herr Schwanz hatte eine besondere Vorliebe für diese Zeitepoche entwickelt, speziell für die populäre Musik dieser Zeit, was er rein äußerlich unter anderem auch durch seinen Entenschwanz (engl. ducktail) zur Schau trug, einer Art Kultfrisur in den Fünfzigern, der Skalplocke früher Rock & Roller wie Eddie Cochran, Elvis Presley oder Johnny Burnette. Herr Schwanz trat auf einen uralten, beinahe schon antiken Fernsehschrank zu und machte Anstalten, diesen zu öffnen.
   "Aber nicht doch, Schwanz", meinte Kommissar Zaungast ganz entgeistert, "Sie wollen doch nicht etwa ..."
   "Keine Sorge, Chef", sagte Schwanz, "ich denke schon, daß ich Sie mit meinem für heute vorgesehenen Programm zufriedenstellen werde. Schauen Sie!" Herr Schwanz hatte den Schrank geöffnet.
   Staunend blickte Kommissar Zaungast auf eine Waschmaschine.
   Herr Schwanz schaltete das Gerät ein und ließ die Wäsche darin rotieren. "Ich war dieses immer mehr in banalstem Stumpfsinn versumpfende Fernsehprogramm endlich leid, Chef", erklärte er stolz. "Da habe ich eines Tages kurzerhand den Fernsehapparat gegen eine Waschmaschine ausgetauscht. Und glauben Sie mir, ich habe es seither noch nie bereuen müssen, Chef. Auch hier kann ich genau wie beim Fernsehen jederzeit zwischen mehreren Programmen wählen."
   "Mann, das nenne ich Stil!" rief Kommissar Zaungast begeistert aus. "Nieder mit den Fernseh-Kanaillen, nieder mit den Sendeanstalten, die seit jeher versuchen, unsere ... äh ... Geduld und Aufmerksamkeit mit ungebührlichen Mitteln aber durchaus über Gebühr zu strapazieren!"
   "Aber nicht mit uns, Chef, nicht mit uns", erklärte Herr Schwanz dezidiert und enthusiastisch zugleich.
   "Nein, Schwanz", pflichtete Zaungast ihm bei, "nicht mit uns, denn im Gegensatz zur ... äh ... Gehirnwäsche durch das Fernsehprogramm spült unser ... pardon ... äh ... Ihr Waschvorgang wertvolle Gedanken und Ideen an die Oberfläche des Bewußtseins. Die rotierende Trommel inspiriert die Fantasie in einem Ausmaß, das wohl seinesgleichen sucht. Nun ja, das Bild ist zwar etwas klein, aber wir könnten ja noch ein Stück näher heranrücken."
   Die beiden Männer rückten mit ihren Stühlen etwas weiter vor.    "Ein beeindruckendes ... äh ... ein außerordentlich beeindruckendes Programm, interessant ... äh ... staunenswert", kommentierte Zaungast das Patschen und Platschen der rotierenden Wäsche.
   "Ein irgendwie politisches Programm, meinen Sie nicht auch, Chef?"
   "Ein durch und durch politisches Programm", erklärte Zaungast, "hier wie dort wird schließlich schmutzige Wäsche gewaschen."
   "Ein sportliches Programm ebenso, Chef, das ideale Programm für Sportinteressierte, würde ich zumindest sagen."
   "Ja", meinte auch Zaungast, "wir schmeißen einfach einen Satz rote und einen Satz blaue Trikots in die Trommel und schauen zu, wie sie sich fetzen. Und nichts ist vorher abgesprochen, Schwanz, alles geht fair und mit rechten Dingen zu."
   "Ja, Chef, der Ausgang ist völlig offen. Sauberer Sport also."
   "Ja", bekräftigte Zaungast, "alle Programme sind hier sauber, hygienisch ... äh ... jugendfrei, dazu fantasieanregend. Welches wären folglich die daraus zu ziehenden Konsequenzen, Schwanz?"
   "Computer und Fernseher raus aus unseren Kinderzimmern, Waschmaschine rein!"
   "Ja ... obwohl", sagte Zaungast einschränkend, „das Programm entbehrt auch nicht einer gewissen Erotik. Geben wir beispielsweise Reizwäsche in die Trommel ..."
   "Oh ja", nahm Schwanz den Faden auf, "Reizwäsche hinein, dann zuerst den Vorwaschgang einstellen, ja, und im Hauptwaschgang geht es dann richtig zur Sache. Ein zutiefst erotisches Programm, ein wohl in jeder Hinsicht anregendes, aufreizendes Programm, Chef."
   "Wohl wahr, Schwanz, wohl wahr. Anregend vor allem für die schmutzige menschliche Phantasie. Und Schmierseife im Haupt- und Vorwaschgang erhöht noch die Laszivität. Aber lassen wir das. Kümmern wir uns statt dessen um die Kultur, es ist nämlich auch ein kulturell hochstehendes Programm, das uns hier via Waschautomat geboten wird, denken Sie nur beispielsweise an die splendide Farbwirkung der rotierenden Buntwäsche. Die Wäschetrommel wird hier zur ... äh ... Zentrifugalkraft höchster avantgardistischer Kunst."
   "Exakt, Chef, genau so ist es. Aber sagen Sie, wie ist es um die Philosophie bestellt?"
   "In der Tat, es erschließt sich uns hier auch ein philosophischer Rahmen der Betrachtung", sagte Zaungast. "Bringen Sie schwarze und weiße Wäsche zusammen und überwinden Sie den Schwarz-Weiß Gegensatz und auch Ihr eigenes Schwarz-Weiß Denken durch Rotationen. Das ist erhabenste dialektische Philosophie."
   "Ein Programm also, das höchsten Ansprüchen genügt, das aber auch höchste Ansprüche stellt, und dies sowohl an den Geist als auch an die Phantasie", faßte Herr Schwanz zusammen. "So eine Waschmaschine gehörte eigentlich in sämtliche Klassenräume sämtlicher Bildungsinstitute."
   "Jawohl, Schwanz, auch und gerade in der Pädagogik muß nämlich gelten: weg mit den Verblödungsapparaten, her mit den Wäschetrommeln. Wäschetrommel kontra Werbetrommel, die geltungssüchtig und verlogen durch alle Fernsehprogramme paukt."
   "Sie sagen es, Chef. Auch darum steigt der Waschautomat in meiner Wertschätzung immer mehr an, er liefert mir Programme ohne jede Werbeunterbrechung, ein Nonstop-Programm frei von jeglicher Werbung und Indoktrination, frei von all den Arschgesichtern aus Show-Business, Politik und Sport, die sich Tag für Tag in Millionen von Wohnstuben unflätig erbrechen und ausscheißen. Entschuldigung."
   "Bravo, Schwanz, bravo", lobte Zaungast, "das haben Sie treffend ... äh ... formuliert, ja, sie kotzen und scheißen sich aus, es sind nun mal Arschgesichter, Mundpupser und Analredner, verlogen wie ein Mund und vorlaut wie ein Arsch. Als Plattform wählen sie sich Talkshows, die Produktwerbung, Kochsendungen, manchmal auch Fernsehfilme oder endlos lange Vorabendserien. Ja, ja, Jauche auf allen Kanälen, Jauche gepaart und verbrüdert mit einem gottverdammten Schalk. Mann oh Mann, Schwanz, was haben wir da nur für eine Scheißhauskultur."
   "Ja, Chef, die Kiste gehört aufs Klo verbannt. Raus aus den Wohnstuben, rein in das Scheißhaus. Ja, auf dem Klo, da lasse ich das Programm gerade noch mal gelten. Doch Sie erwähnten eben diese unsäglichen, ermüdenden Bandwurmserien, Chef."
   "Ja", sagte Zaungast, "endlos wie ein Bandwurm, hirnlos wie ein Bandwurm."
   "Kennen Sie das Gesetz dieser Serien?" fragte Schwanz den Kommissar.
   "Je weniger Geist, je weniger Substanz, desto länger und erfolgreicher die Serie", antwortete Zaungast schmunzelnd.
   "Richtig, Chef", sagte Schwanz, "doch lassen Sie uns nun mal über unser eigenes Metier reden, Chef. Was sagen Sie denn zu den zahllosen Krimiserien, die mittels Glotze den Menschen ein völlig falsches Bild unserer Arbeit vermitteln wollen?"
   "Tja ...", sagte Zaungast, "ich muß Ihnen gestehen, daß ich noch nie einen dieser ... äh ... Krimis gesehen habe, aber gerade dieser Umstand erlaubt es mir natürlich, eine völlig unvoreingenommene Meinung darüber zu ... äh ... entwickeln. Sie gehören abgeschafft, schlichtweg verboten, diese Krimis, sie verstoßen gegen das siebte Gebot, sie stehlen Zeit. Sie verstoßen auch noch gegen das achte Gebot, sie legen falsches Zeugnis ab. Im Grunde genommen verstoßen sie gegen sämtliche Gebote, Schwanz."
   "D’accord, Chef."
   "Ach, ich habe gar nicht gewußt, daß Sie Französisch können."
   "Ich auch nicht."
   "Dann sind Sie mir aber einen Schritt voraus, Schwanz."
   "Nein, im Gegenteil, ich hinke Ihnen eine Schwanzlänge hinterher. Pardon, sprechen Sie denn kein Französisch, Chef?"
   "Doch, aber meine Idiosynkrasie gegen alles ... äh ... Französische, sowie mein unorthodoxer Akzent machen mich zum idealen Paraphraseur pseudo-intellektueller, Frankreich und die Franzosen betreffender Laudationes. Sie verstehen hoffentlich, was ich meine."
   "So in etwa, Chef, nicht ganz, doch ja, so in etwa."
   "Sehen Sie, Schwanz, der Polymorphismus der Franzosen, ihr leicht näselnder, sonorer Zungenschlag, das alles läßt dem Zyniker kaum noch Wünsche offen. Doch entpuppen sich die vermeintlichen Zyniker hinterher meist als billiges, schäbiges Komödiantenpack, kneten mit ihren Zeige- und Stinkefingern einen anrührigen, anrüchigen Teig und backen sich daraus Franzosenbrot ... äh ... ja, wo waren wir stehen geblieben?"
   "Bei den Fernsehkrimis, Chef."
   "Ah ja, bei diesen komischen Helden, die zur besten Sendezeit verbale Dumm Dumm Geschosse in die Wohnstuben feuern. Darin stehen sie ihren Kollegen aus den Tratsch- und Stammelrunden in nichts nach."
   "Warum in die Ferne schauen, wo doch unser Inneres noch gewaltige Schätze birgt, die noch längst nicht alle gehoben sind", sagte Herr Schwanz.
   "Und wozu uns die Waschmaschine verhelfen kann", setzte Kommissar Zaungast hinzu. "Sie ist ein ideales Meditationsinstrument, ihr Sichtfenster ein ständig sich wandelndes Mandala. Es gewährt uns einen Blick in unser Inneres, bis in die letzten Falten unserer eigenen schmutzigen Wäsche. Das Wasser mit all seiner Symbolkraft für unbewußte Vorgänge nährt und bewässert die tief reichenden Wurzeln unserer Existenz. Die Waschmaschine ist eine Selbstfindungsmaschine. Das konzentrierte Schauen in die Waschmaschine ist In-Sich-Gehen, Nahsehen im ... äh ... wahrsten Sinne des Wortes, der diametrale Gegensatz zum ordinären, verblödenden Fernesehen."
   "Ja, Chef, vergessen wir also getrost das Fernsehen", meinte Herr Schwanz zustimmend. Dann sprachen sie beide einen Toast auf die Wäschetrommel aus.
   Ein langgezogenes, rülpsend gurgelndes Geräusch leitete das Ende des Waschvorgangs ein. Der Kommissar und Herr Schwanz aber schwebten noch lange mit ihren Gedanken über den Sinn befruchtenden Wassern der Inspiration, selbst als diese bereits in den stinkenden Kloaken, im dunklen, schmutzigen Revier der Kanalratten versickert waren.

(Werner Fletcher)