LANDNAHME UND FLUCHTNAHME

 

Er über sich.

Wegen der gebotenen Grundsätzlichkeit der Erwägung müßte er in sein Inneres, in dieses - beim Schreiben - zusammengekrümmte Etwas.

Er könnte es - wie ein anderer - Selbstbezichtigung nennen. Oder wie ein weiterer anderer Was mich betrifft. Dann fiel ihm das unzulängliche Wort Lebenslauf ein. Auch Denkmal, wie belustigend. Oder ein Wort, das er wirklich nicht mögen konnte, Autobiographie. Oder gar, wie altmodisch, Curriculum vitae.

Alles das hat nichts, aber schon gar nichts mit ihm oder dem Schreiben zu tun, das ja grundsätzlich und eigentlich ein Sitzen ist. ( Wie er diese Wörter liebt: grundsätzlich und mehr noch: eigentlich. )

Sitzen.

"An seinen Bewegungen, seinem Sitzen, wenn auch beim Schreiben, ist er nicht auszuloten", hat sie geschrieben und er sog es in sich - wie eine Botschaft, ein Zeugnis, das große Verständnis.

Beim Schreiben bleiben die Augen im Kopf.

Die Distanz, die eigentlich Introversion heißt, und der er sich hemmungslos ausliefert, beschwört Distanz, Distanz, Distanz.

Einmal im Schreiben, war und ist er immer ein anderer. Das alter ego, das schizoide Ich, der mit dem Bewußtsein des Schreibsitzenden und Sitzschreibenden.

Sitzen ist Schreiben.

Und dann der berühmte Umkehrschluß:

Schreiben ist Sitzen.

Dennoch hebt er in den besten Augenblicken behutsam ab.

Es ist die innere Zärtlichkeit des Wohl-Fühlens. Dann liebt er dich selbst - und alle anderen.

Schreiben heißt, das Aufbringen der unbändigen Energiezärtlichkeit, der Tatkraftzärtlichkeit.

Im Kopf. Und überhaupt überall. Über.

Dann wird er bewegungslos. Die Gedanken entdecken mit einem Mal ein Eigenleben und er wird eigen und bleibt es. Lange. Er wird auf einmal gesund. Er spürt das Heil. Mit Geschichte. Deshalb ist das Schreiben letztlich seine Heilsgeschichte.

"Nur gebrochene Menschen können schreiben", sagt ihm sein schreibender Freund.

Das Schreiben gibt ihm seine zweite Hälfte zurück. Vielleicht die erste.

Beim Schreiben ist er weder zu beschreiben noch zu fassen.

Später versteht er meist nicht mehr, wie das weiße Papier grün-weiß wurde. Seine Sätze, Gedichte und Geschichten überraschen ihn. Auf Fragen wüßte er keine Antwort. Nichts Auf-Schluß-Reiches.

Jede Antwort ist und wäre nur ein Fliehen. Eine Fluchtnahme nach der Landnahme, denn schließlich ist das Schreiben seine schönste Landschaft.

Immer wieder der Versuch ( der anderen ), ihn zu finden, ihn zur Strecke zu bringen, ihm über die Schulter zu starren.

In den Sätzen, seinen besten, findet er sich wieder.

Nach dem Wiederfinden, der Wiederholung und der Genugtuung, die Angst. Die Furcht, keinen ersten Satz mehr finden zu können. Nie mehr und nie wieder. Das ist die grenzenlose Angst vor der unendlichen Phantasielosigkeit. Seine Urangst seit den ersten Sitzungen. Aber er würde es nie gestehen.

Seine Angst vor dem Erlebnis, während dem die Zeit zum Augenblick wird, zum Bruchteil eines Augenblicks, in dem keine Zeit mehr bleiben kann und nichts mehr entstehen wird. Diese Angst ist seine ewige Behinderung. Seine Verhinderung, gegen die allein er in den Kampf ziehen würde.

Und dennoch gibt es mit Gewissheit jene Augenblicke, nach denen er erst nach einem Blick auf die Stunden erfährt, daß er lange fort war. Weit weg. Nicht mehr in jener Welt, in der die Schrift kaum gilt.

In der Welt, in der die Schrift etwas heißt, ist sein Anspruch der vollendete Satz, der Roman des Jahrhunderts, der Buchdeckel mit Gewicht, sind es die Teile, die sich zum Ganzen fügen. Ist es - Ja, sag's nur so, sagt sie - die Poesie.

Die Poesie, nicht Poetasterei: sein Anliegen, obwohl er sich nichts "von der Seele" schreibt, weder von der eigenen noch der seiner Mitwelt, weil er niemanden verletzen will.

Und dennoch tut er's sagt sie, an liebsten tut er das und es. Sein Schreiben ist das Wörter-Buch der Liebe, in dem Wörter zu Worten werden.

Sachtheit.

Wehmut und Selbstleid.

Lippen und Haar.

Händedruck und Augenblick.

Tod.

Mit dem Schreiben, sagt er, und weiß, daß er alles das nie über sich selbst sagen würde.

Welche Nützlichkeit wäre den Dingen wohl inne, wenn er das Schreiben nicht hätte.

Das Schreiben: sein fester Entschluß, sein heimlichstes Gelübde.      


(von Janko Ferk)