Ulrike

von Kerstin Eckberg

Ulrike sitzt am Bettrand, eine Flasche Rotwein zwischen die Knie geklemmt und schaut missmutig auf den staubigen Bildschirm ihres Fernsehgerätes. Neben ihr döst Etcetera, die Katze, auf einer Decke zusammengerollt. Das unwirsche Schrillen des Telefons reißt beide aus ihren Träumen. Ulrike springt auf, verfängt sich in den Falten des Bettvorlegers und landet in schmerzhafter Bauchlage im Vorzimmer. Etcetera miaut und streicht um Ulrike herum. Natürlich hat das Telefon inzwischen aufgehört zu schrillen.
Ulrike reibt sich das linke Knie und überlegt, wer der Anrufer gewesen sein könnte. Womöglich wieder dieser komische Typ von neulich, der ihr ein verlockendes Rezept für Schokomuffins verraten hat? Angenehme Stimme irgendwie, sicher ein Gourmet auf unterschiedlichsten Gebieten, wie Ulrike vermutet. Er hat einfach angerufen. Einfach irgendjemanden angerufen. Tut man so etwas? Wer tut so etwas? Aber lustig ist´s gewesen. Und was ist schon dabei, hat Ulrike gedacht.
So hat sie sich als "Angela" ausgegeben, während der Anrufer überhaupt keinen Namen genannt hat. Aber diese Stimme! Dieses leichte Beben.
Am nächsten Tag hat sie doch tatsächlich diese Schokomuffins gebacken, obwohl sie für gewöhnlich bereits das Öffnen einer Dose Katzenfutter als lästige Küchenarbeit empfindet. Nein, Ulrike kocht nicht gerne und auch nicht gut. Ersteres hat sie immer schon gewusst, Letzteres immer wieder von Ex-Freunden zu hören bekommen. Ulrike hat so getan, als wäre ihr das einerlei. Nur das Zucken ihrer rechten Augenbraue wäre für aufmerksame Beobachter ein Anzeichen des innerlich tobenden Unwetters gewesen. Aber aufmerksame Beobachter sind selten und Ulrike bisher nicht begegnet. Etcetera schmiegt sich an Ulrikes Beine und schnurrt.
Da läutet das Telefon abermals. Jetzt schafft es Ulrike ohne Missgeschick ins Wohnzimmer vorzudringen. "Hallo?"
"Angela?"
"Hä? Äh - ja. Ja?!"
"Heute erkläre ich dir, wie du unwiderstehlich gute gefüllte Datteln zubereiten wirst. Aber zuvor beantwortest du einige Fragen." Ulrike zögert. Warum sollte sie diesem Jemand Antworten geben? Und Datteln mag sie nicht. Auch kennt sie niemanden, der gerne
Datteln isst. Sie hustet gekünstelt und murmelt: "Ich erzähl dir was von Dosenöffnern und von der Widerspenstigkeit schleimiger Fleischbröckchen." Mit einem Mal ist die Verbindung unterbrochen und Ulrike fällt in die Gegenwart des Abends zurück.
Und doch bleibt das Verlangen , diese Stimme wieder zu hören ...

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