Menschenöffner

von Doris Krestan


Szene 1

Bühnenraum seitlich und im Hintergrund von bauschig drapierten schwarzen und roten Stoffbahnen begrenzt. Lichtquelle: Altarkerze (annähernd 60 cm hoch und 12 cm im Durchmesser) hinten links am Boden stehend. Stimme eines sich nicht im Blickfeld der Zuschauer Befindenden (Lautstärke, Tonfall usw. nach dessen Gutdünken):
"Aus dem System des Antwortgebens herausgestorben ist jemand, auf der Geistertreppe raufrunter gestiegen. Hat niemals Schwerter eingeatmet, Flammen verschlungen. Stattdessen holzhart in Kirchenbänken gekauert, im Windschatten des Heiligen Geistes. Werwowie-kocht die Ungeduld aus tausend Kehlen über, husten die Mehrwegmenschen Hostien über den Marmor. Wasser zu Wein, Asche zu Erde, Staub zu Sternen. Was die Einwegmenschen fürchten und deshalb rituell vor sich her schieben, wächst mit jeder Erdumdrehung wie die Kugeln der geschäftigen Mistkäfer, die diese vor sich her rollen. Der, dessen Chamäleonzunge einen geflügelten Satz des Nächsten aus der Luft geklatscht hat, lässt noch keine Gelegenheit aus, sich der Oberfläche stofflich anzugleichen."

Eine andere Person, in einen schwarzen Umhang gehüllt, kämpft/schält sich aus den, nur während des Hervortretens grell von hinten beleuchteten, Stoffbahnen. (Gestik, Lautstärke, Tonfall und Mimik nach deren Gefühl):
"Wer gießt mein Denken und Sagen in Möglichkeitsformen? Und: Manikürte Fingernägel wachsen nicht auf Bäumen. Genauergesagt: Denken macht Freude, wenn man drauf achtet, dass manīs kann, wenn manīs braucht. Davor vielleicht noch ein Aspirin pürieren und schnupfen, falls einen das weiterbringt. In den meisten Fällen begnügt man sich ohnedies. Beschränkt sich, lässt sich leben. Aus den Möglichkeitsformen quellen in der Hitze des Gefechts die teigigen Satzbrocken und erstarren unter Krusten. Braucht ganz schön viel Spucke, sie aufzuweichen, außerkörperlich anzuverdauen. Zum einen und zum andern. Was aber, wenn das Licht abdankt, sich wegdreht? Farben ausgetrunken, Schatten versickert sind? Lass mich nicht mit mir allein. Was ummantelt diese Furcht? Keine Antworten. Nichts. Gar nichts . Und darüberhinaus alles was du willst. Mühsam bergauf denken, schleunigst umdrehen. Verstehst du mein Zögern? Nicht. Aber. Sondern. Wegen. Weil. Fluchtversuch mit elterlichen Kausalprothesen. Achtung, Stolperstein! Lass gut sein. Sei so gut. Wenn, dann. Und wenn nicht, warum dann nicht? Selbstverständlich brennt mir der Widerspruch auf den Lippen. Und er weiß es. Niemals, keinesfalls, nirgends-Auftakt jeder besseren Unterhaltung. Du wirst schon noch sehen. Und wer nicht hören will, darf fühlen. Nur schlüssig, es einfach zu versuchen. Ohne wenn und aber, ohne wenn dann."

Tritt die Kerze um und stürzt sich in die Falten der Stoffbahnen links hinten.


(Doris Krestan)