Doris Meißner-Johannknecht und Melanie Kemmler: "Ein Geburtstag"


Sie sind als eineiige Zwillinge geboren, die beiden Brüder, von denen der eine diese schöne, nachdenkliche, traurige, aber auch ermutigende Geschichte erzählt.
Morgen haben die Beiden Geburtstag, und der Erzähler bereitet alles liebevoll vor. Denn an diesem Tag kommt sein Bruder immer nach Hause. Schon kurz nach dem Kleinkindalter, so entsteht beim Lesen der Eindruck, werden die Beiden für die meiste Zeit des Jahres getrennt, jedenfalls gibt es, wenn der Erzähler in Vorbereitung und Vorfreude auf den Besuch des Bruders wohl zum x-ten Mal im Familienalbum blättert, von seinem geliebten Bruder kein Einschulungsfoto.
Der Erzähler ist aufgeregt, bereitet sein Zimmer für seinen Bruder vor, der meistens so weit weg von ihm ist. Er legt dessen Schlafmatratze neben sein Bett, präpariert den Kassettenrekorder mit der Lieblingsmusik des Zwillingsbruders, die er am liebsten laut mit Kopfhörer hört. Er plant, was er mit dem Bruder spielen wird; sie werden wieder die allerersten Bilder aus dem dicken Album anschauen, als sie noch, nebeneinander auf einer schönen Wiese stehend, im Zwillingswagen liegen.

Manchmal, so erzählt er dem Leser, wenn er während der Besuche seines Bruders mit diesem die Bilder von früher ansieht, muss er weinen. Doch da nimmt der Bruder seine Hand. "Das ist schön, tut gut und zugleich weh."
Fast jeden Tag ist der kleine Erzähler mit seinem Bruder in innerem Kontakt, teilt ihm seine Erfahrungen und seine Gefühle mit. Doch wenn der Bruder zum Geburtstag kommt, sind die tatsächlichen Möglichkeiten der Kommunikation beschränkt.
"Du siehst unsere Torte kaum, und unser Geburtstagslied, das Mama uns jedes Jahr singt, kannst du nur schwer hören. Du läufst nicht zum Geburtstagtisch, und es gibt auch kein Fahrrad für dich. Du liegst noch immer wie ein Baby auf der Matratze. Das wird sich nicht ändern, solange du lebst."

Der Erzähler fragt sich dann oft, wieso es sein Bruder ist, der für den Rest seines Lebens behindert sein wird, und nicht er. Und so wird er am Geburtstag, während sein Bruder lacht und sich freut, auch ein bisschen traurig sein: "Und doch bin ich glücklich, dass es dich gibt."

Ein wunderbares, ernsthaftes und berührendes Buch über ein in der Kinderliteratur selten auftauchendes Thema.

(Winfried Stanzick; 10/2007)


Doris Meißner-Johannknecht und Melanie Kemmler: "Ein Geburtstag"
Bajazzo Verlag, 2007. 32 Seiten. (Ab 6 J.)
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Doris Meißner-Johannknecht studierte Germanistik, Publizistik, Theaterwissenschaft, Pädagogik, Psychologie und Sportwissenschaften. Sie war zuerst als Therapeutin in der Drogenarbeit tätig und unterrichtete dann 18 Jahre lang an Dortmunder Gymnasien, ehe sie sich 1990 entschied, als freie Schriftstellerin und Bibliotherapeutin zu arbeiten. Seit 1988 erschienen rund 40 Kinderbücher von Doris Meißner-Johannknecht. Bereits 1998 bekam sie den "Literaturpreis Ruhrgebiet" für ihr Gesamtwerk.

Melanie Kemmler, geboren 1972, studierte Kinder- und Jugendbuch-Illustration bei Rüdiger Stoye an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Seit 2003 arbeitet sie als freischaffende Illustratorin für verschiedene Verlage. Ihre Bilder wurden mehrfach auf der Kinderbuchmesse Bologna ausgestellt. 2007 nahm sie mit "Die Prinzessin auf der Erbse" an der "Biennale" in Bratislava teil. "Der hölzerne Mann" wurde für den "Deutschen Jugendliteraturpreis 2004" nominiert, "Flaschenpost für Papa" (Autor: Hubert Schirneck) erhielt den "Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2005", und "Die Prinzessin auf der Erbse" gewann den "Preis der Kinderjury 2007" des Bilderbuchmuseums Troisdorf.