Aravind Adiga: "Der weiße Tiger"


Bei diesem Buch handelt es sich um den "Booker"-Preisträger von 2008, und es soll in Indien und innerhalb der indischstämmigen Population Großbritanniens für einige Kontroversen gesorgt haben, weil es zum Einen Indien insgesamt ziemlich negativ darstellt, Familienwerten zuwiderläuft und auch stellenweise ziemlich blasphemisch daherkommt.

Die Situation: der chinesische Ministerpräsident beabsichtigt Bangalore zu besuchen, um dort etwas über das Unternehmertum in Indien zu erfahren. Balram Halwai, der auch unter einigen anderen Namen bekannt ist, bietet ihm einen Blick auf dieses Unternehmertum an, der von der offiziellen Darstellungsform ein wenig abweicht. In sieben Briefen an den Ministerpräsidenten erzählt er diesem die Geschichte seines bewegten Lebens und seines Aufstiegs von einem Jungen, der nach nur zwei Jahren sehr eingeschränkten Schulbesuchs erst in einem Teehaus arbeitete, um dann über ein paar Umwege Fahrer und Diener eines reichen Mannes zu werden. Er scheint dabei sehr geschickt vorzugehen und auch bei der Wahl seines Arbeitsgebers eine Menge Glück gehabt zu haben.

Doch das Leben für den durchschnittlichen Inder der unteren Kasten ist wie ein Hühnerkäfig, und selbst wenn ein Mann - oder eine Frau - den Maschendraht im Kopf überwinden sollte, so gibt es doch noch eine Menge anderer Mechanismen, die mit aller Kraft versuchen, ihn bzw. sie unten zu halten, wobei die Familie nicht zu unterschätzen ist.

Mit ein wenig Bildung und einer harten Lebensschule im Hintergrund - aber ohne übertrieben viel Weltwissen oder klare Erkenntnis von gesellschaftlichen Zusammenhängen - beschreibt der naiv-bauernschlaue Ich-Erzähler, der auch "der weiße Tiger" genannt wird, dem chinesischen Gast sein Leben und sein Land ausführlich und für den informierten Leser weitgehend ironisch.

Diese Art von Schelmenroman hat eine lange literarische Tradition in der sogenannten westlichen Welt, und die Methode ist in diesem Briefroman wirklich interessant umgesetzt. Man lernt Einiges über einen Teil der indischen Gesellschaft und über den indischen Demokratiebegriff, wie er wohl in einigen Landesteilen Gültigkeit haben mag. Denn der weiße Tiger kommt nicht übertrieben viel herum.

Insgesamt konnte mich der Roman jedoch nicht durchgehend fesseln, so dass ich ihn außer der mit ihm verbundenen Kontroverse für weniger bemerkenswert halte, als es der zuerkannte Preis vielleicht vermuten ließe.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2009)


Aravind Adiga: "Der weiße Tiger"
(Originaltitel "The White Tiger")
Übersetzt von Ingo Herzke.
Gebundene Ausgabe:
C.H. Beck, 2008. 319 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2010. 320 Seiten.
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Hörbuch:
Der Audio Verlag, 2009.
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Aravind Adiga wurde 1974 in Madras geboren, wuchs u.a. in Sydney, Australien, auf, studierte englische Literatur an der Columbia University und am Magdalen College in Oxford. Er arbeitete als Korrespondent für die Zeitschrift "Time" und für die "Financial Times".
Er lebt in Mumbai, Indien.
Sein erster Roman "Der weiße Tiger" erschien in 16 Ländern und erhielt im Oktober 2008 als vierter Debütant den begehrten "Booker Prize".

Drei weitere Bücher des Autors:

"Zwischen den Attentaten. Geschichten aus einer Stadt"

Als würde man an einer siebentägigen Erkundung der Stadt Kittur und ihrer Besonderheiten teilnehmen, so führt Aravind Adiga in seinem Buch, einem Zyklus von Geschichten, den Leser durch diese brodelnde fiktive Stadt, die deutlich erkennbare Züge Bangalores trägt. Wie in Adigas preisgekröntem Debüt "Der weiße Tiger" werden mit Witz und Furor, Mitgefühl und Humor, Mut und Leidenschaft Geschichten erzählt, in denen die unbarmherzigen Gegensätze und der unbeugsame Überlebenswille im heutigen Indien plastisch werden.
Da ist der zwölfjährige Ziauddin, der in einem Teehaus in der Nähe des Bahnhofs aushilft und, weil er einem hellhäutigen Fremden vertraut, einen großen Fehler macht. Da ist ein privilegierter Schuljunge, der aus Protest gegen das Kastenwesen an seiner Schule Sprengstoff zündet. Und da ist George D'Souza, der Moskitomann, der sich bei der reizenden jungen Mrs. Gomes zum Gärtner und dann zum Chauffeur hocharbeitet und alles verliert, als er die strengen Grenzen zu überschreiten versucht.
Aravind Adiga ist ein begnadeter Erzähler und Menschenkenner, und in dem reichen Panaroma von Figuren und Geschichten aus Kittur, die kunstvoll miteinander verwoben sind, erkennen wir fasziniert eine fremde Welt, die doch auch unsere ist, blicken in Abgründe menschlicher Kämpfe und lesen von Hoffnungen und Wünschen, die uns vertraut sind. (C.H. Beck) zur Rezension ....
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