(...)
"Hier ist Wellington. Neuseeland. Ist dort Prag? Sie haben ein Gespräch."
"Hallo. Hallo, ist da Prag?"
"Hier ist Prag."
"Bist du das, Tereza? Hörst du mich?"
"Ja, ich höre dich."
"Ich bin's Bill."
"Ich weiß. Ich habe deine Stimme erkannt. Außerdem, wer sollte mich sonst aus Neuseeland anrufen."
"Wie geht es dir, Tereza?"
"Jetzt, wenn ich dich höre, geht es mir gut. Hörst du mich? Wie geht es dir?"
"Ich bin froh, daß ich dich höre, aber du bist so schrecklich weit weg."
"Ich weiß. Ich bin am anderen Ende der Welt."
"Ich habe Sehnsucht nach dir, Tereza!"
"Ich auch."
"Ich möchte dich gern umarmen."
"Ich dich auch."
"Was gibt es Neues bei Euch?"
"Ich weiß nicht. Eigentlich nichts. Der ältere Junge geht in die Schule und der kleine ruiniert die Wohnung und meine Nerven. Ich habe viel Arbeit. Ich habe mir ein neues Kostüm nähen lassen. Ich habe dabei an dich gedacht, daran, daß ich dir darin gefallen würde. Und was gibt es bei dir Neues?"
"Tereza, ich habe meiner Frau alles erzählt."
"Was alles?"
"Daß ich dich liebe."
"Du hast ihr von mir erzählt?"
"Ich habe ihr gesagt, daß ich dich liebe. Daß ich mit dir zusammen leben will. Du hast es deinem Mann nicht gesagt?"
"Nein … Noch nicht. Glaubst du, das war klug? Und sie … was hat sie dazu gesagt?"
"Sie wollte mir nicht glauben. Und dann - hat sie geweint."
"Das ist schrecklich. Vielleicht hättest du noch ein bißchen warten sollen. Hallo, hallo … Bist du noch da? Ich höre dich nicht. Bill, irgendwer spricht da japanisch oder was. Bist du noch da?"
"Tereza, hörst du mich?"
"Jetzt höre ich dich. Diese Entfernung ist schrecklich."
"Unerträglich. Das war nicht japanisch, das war Maori. Ich weiß nicht, worauf ich noch hätte warten sollen, wenn ich doch weiß, daß ich dich liebe."
"Jetzt höre ich dich, als ob du nebenan im Zimmer bist. Aber ihr hat es bestimmt sehr weh getan."
"Ich tue ihr nicht damit weh, daß ich es ihr sage, sondern mit dem, was geschehen ist. Dem, was geschehen wird."
"Das ist alles schrecklich. Und was willst du unternehmen? Zu welchem Entschluß seid ihr gekommen?"
"Es war nicht einfach. Sie hat gesagt, daß sie es nicht überlebt. Genau darüber wollte ich ja mit dir sprechen."
"Und das am Telefon, wo uns jemand auf Maori dazwischen kommt? Wir können doch nicht über solche Dinge, die Leben und Tod betreffen, am Telefon sprechen."
"Du hast recht. Ich wollte dir sagen, Tereza, daß ich mich entschlossen habe, zu dir zu fliegen."
"Das geht nicht."
"Warum? Ich komme einfach geflogen. Wie vor einem Monat."
"Aber das kostet doch schrecklich viel Geld."
"Das Geld ist mir egal. Bei dir zu sein, das ist mir wichtig."
"Wie willst du denn bei mir sein? Ich habe doch meinen Mann hier."
"Vor einem Monat hattest du auch einen Mann."
"Ja, aber da war er nicht hier. Er war verreist."
"Vielleicht würdest du ein bißchen Zeit für mich finden."
"Ein bißchen vielleicht. Und dafür würdest du herkommen?"
"Lieber ein bißchen Zeit zusammen mit dir als ein Leben ohne dich. Und außerdem muß ich mit dir sprechen. Du hast selbst gesagt, daß man über solche Dinge nicht am Telefon sprechen kann."
"Aber du warst doch vor einem Monat hier. Da hätten wir etwas abmachen können und haben es nicht getan."
"Wir haben nichts verabredet, dafür hat die Zeit nicht gereicht. Außerdem habe ich nicht geahnt, daß es so schrecklich sein würde ohne dich."
"Dabei haben wir doch darüber gesprochen, daß wir Sehnsucht haben werden. Und doch hast du gesagt, daß du keinen Druck auf mich ausüben wirst, daß du mir Zeit gibst, damit ich mich frei entscheiden kann." "Aber das ist doch selbstverständlich, daß du dich allein und frei entscheiden kannst."
"Siehst du."
"Ich würde nie Druck auf dich ausüben."
"Das ist gut. Aber du hast vorgeschlagen, daß ich zu dir kommen und bei dir bleiben soll. Das kann ich nicht, das will ich nicht. Ich bin die ganze blöde kommunistische Zeit hier geblieben und jetzt soll ich weggehen? Ich liebe dieses Land. Und hier sind meine Leute."
"Aber ich hab dich doch gar nicht gedrängt."
(...)


(aus "Liebesgespräche" von Ivan Klíma)
(Originaltitel: Milostne rozhovory)
Aus dem Tschechischen von Anja Tippner; Zsolnay
"Die besten Geschichten Ivan Klímas sind auf einzigartige Weise unmoralisch und moralisch zugleich, bitter und schön, rätselhaft und lebensweise. Und darum ist auch noch längst nicht ausgemacht, ob es nicht die Verlierer sind, die in ihnen gewinnen." (
Karl-Markus Gauß, Die Presse) Buch bei Libri.de bestellen
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