Jutta Richter: "Der Anfang von allem"


Zu allen Zeiten haben sich Menschen, haben sich Schriftsteller und Philosophen mit "dem Anfang von allem" beschäftigt. Sie sind der Frage nachgegangen, wie es dann dazu kam, dass die Welt so wurde, wie wir sie vorfinden, wenn wir, ungefragt, in sie hineingeboren werden.

Entstanden sind so in allen Kulturen mythologische Erzählungen von einem Urzustand oder Paradies, den die Menschen dann verlassen haben. Mit diesem "verlorenen Paradies" (Milton) haben sich dann unzählige Fantasien und Utopien beschäftigt, vor allen Dingen damit, wie es gelingen könnte, diesen Urzustand von Glück, den man am Anfang von allem vermutete, auf irgendeine Art wiederherzustellen. Letztlich ist der Paradiesgedanke der Ursprung aller politischen Utopien in der westlichen Welt. Aus den Tagebüchern und Reden Rudi Dutschkes beispielsweise weiß man, dass er, selbst christlich-visionär geprägt durch die entsprechenden Traditionen der jüdisch-christlichen Überlieferung, immer wieder paradiesische Bilder benutzte, wenn er von der Gesellschaft der Zukunft sprach, insbesondere jenes vom Lamm, das seelenruhig beim Löwen liegen könne, ohne dass ihm etwas geschehe.

Denn die prophetische Tradition der hebräischen Bibel, auf die sich immer wieder Visionäre und Revolutionäre berufen haben, geht davon aus, dass der göttliche Frieden sich nicht nur über die Menschen ausbreitet, sondern über die ganze Schöpfung.

Auch Jutta Richter hat sich mit einem kleinen aber feinen Buch diesem Thema zugewandt. Warum nur, so lässt sie ihren Adam fragen, warum nur hat sich wegen eines Apfels alles so schlagartig geändert?

"In dieser Nacht, als ich den Apfel aß, zerfiel ich in zwei Teile. Und nichts war, wie es vorher war." Mit diesen Worten lässt sie Adam die Folgen jener Missachtung von Gottes Gebot beschreiben. Man hat lange keine so treffende und knappe Beschreibung dessen gelesen, was Entfremdung ist, jenes Abbrechen eines Teils der Identität und der Verlust des Glücks.

Jutta Richter beschreibt die Liebesgeschichte Gottes mit seiner Welt und seinen Menschen und die Liebesgeschichte dieser beiden Menschen, Mann und Frau. Und sie beschreibt, wie sie zerbricht, wie Adam seiner Frau einfach nicht verzeihen kann, dass sie den Apfel aß und auch ihm davon gab. Sie beschreibt als Folge dieses Ungehorsams die Vertreibung aus dem Garten und den Beginn von Streit und Krieg auf der Welt.

Die Autorin nimmt dabei durchgängig die Haltung Adams ein, seine Gefühle und Gedanken werden vor dem faszinierten Leser ausgebreitet. Und der Leser spürt mit jeder Seite mehr, dass Adams Sehnsucht nach dem, was er da verloren hat, sowie seine Fragestellungen seine eigenen Fragen formulieren und seine eigene Sehnsucht beschreiben.

Zwischendrin lässt Jutta Richter eine Katze ihre Beobachtungen mitteilen, mit der sich Adam über seine Gedanken und Gefühle austauscht. Damals, so soll man wohl den Eindruck gewinnen, war auch die Kommunikation zwischen Mensch und Tier noch vollkommen.

Fazit:
Ein schönes Buch voller Poesie, das von einer Sehnsucht und einer Hoffnung, die einfach nicht auszurotten ist, handelt. Wer mehr davon lesen möchte, dem sei wieder einmal die Lektüre der ersten elf Kapitel der Genesis empfohlen und vor allen Dingen das Buch des Propheten Jesaja.

(Winfried Stanzick; 10/2008)


Jutta Richter: "Der Anfang von allem"
Hanser, 2008. 103 Seiten.
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Jutta Richter, 1955 geboren, lebt im Münsterland. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise, darunter 2001 den "Deutschen Jugendliteraturpreis" für "Der Tag, an dem ich lernte, die Spinnen zu zähmen" (2000), 2005 den "Katholischen Kinder- und Jugendliteraturpreis" für "Hechtsommer" (2004) und 2007 den "Italienischen Kinderbuchpreis" für "Die Katze oder Wie ich die Ewigkeit verloren habe" (2006).