Martin Mosebach: "Mogador"


Fällt in Literaturkreisen der Name des "Büchner"-Preisträgers Martin Mosebach, scheiden sich sogleich die Geister. Und das nicht etwa wegen unterschiedlicher Vorstellungen von der Qualität seiner Romane und Essays, sondern hauptsächlich aufgrunddessen, wofür Martin Mosebach steht. Als überzeugter konservativer Katholik, der den lateinischen Ritus verteidigt, ist er für eine mehrheitlich religionskritische Kultur- und Literaturkritik ein Ärgernis.

Doch er, immer korrekt gekleidet mit Fliege bzw. Krawatte und Einstecktuch, lässt sich davon nicht beirren. Er verfügt seit Jahren über ein beeindruckendes polemisches Temperament und wird auch mit "Mogador" die Geister scheiden. Und das nicht nur, weil er "Sofa" mit "ph" schreibt und die deutsche Sprache in ihrer wunderbaren Vielfalt beherrscht wie kaum ein Anderer. Sondern einfach deshalb, weil es ein Buch von Martin Mosebach ist.

So hat die Literaturkritikerin Sigrid Löffler in einem Interview abfällig gesagt, Mosebach schreibe "in einem sehr verschmuckten und gespreizten Prunkstil" mit "affektierten Vokabeln und ihren verzopften Phrasen aus der bürgerlichen Mottenkiste des 19. Jahrhunderts", während die nicht minder angesehene, mittlerweile als Verlegerin des "Piper"-Verlags tätige Felicitas von Lovenberg lobte: "Auf den Gipfeln deutscher Erzählkunst spaziert Martin Mosebach mit unnachahmlicher Eleganz und Leichtigkeit."

Nach seinem Wechsel von "Hanser" in München in den Norden zu "Rowohlt" legt der Autor nun dort seinen nächsten Roman vor, auf den sich der Rezensent schon Wochen vor dem Erscheinen gefreut hat, eben wegen des erwarteten sprachlichen Genusses. Und er wurde nicht enttäuscht.

Mosebachs Roman spielt in einer marrokanischen Stadt, die er mit ihrem alten portugiesischen Namen benennt: Mogador. Dort lässt er seinen Protagonisten, den Düsseldorfer Bankier Patrick Elff, in eine Welt, die aus der Zeit gefallen scheint, eine Welt magischer Praktiken und archaischer Bräuche, eintauchen.

Patrick Elff, erfolgreicher Senkrechtstarter in einer Düsseldorfer Privatbank, lernt bei einem intimen Abendessen in einem Pariser Restaurant der Extraklasse einen der besten Kunden der Bank kennen. Dieser Mann aus Marokko aus der Stadt Mogador namens Pereira ist ein mächtiger Zeitgenosse, wie sich später noch herausstellen wird. Er überredet Patrick zu einer illegalen Vertuschung von Bestechungszahlungen, die der Vorstand angeblich hinter vorgehaltener Hand billigt. Als Patrick wenig später zum Abteilungsleiter befördert wird, empfindet er das als eine Bestätigung. Pereira zeigt sich erkenntlich und teilt ihm mit, er habe noch etwas gut bei ihm.

Daran erinnert sich Patrick Elff, als er bald danach zu einer Vernehmung in die Staatsanwaltschaft gebeten wird. Sein untergeordneter alter und skurriler Kollege Dr. Filter hat Selbstmord begangen, und Elff soll wichtige Informationen liefern. Weil er aber - er weiß nicht mehr genau, wie er da hineingeschlittert ist - von Unterschlagungen des Dr. Filter in riesiger Millionenhöhe wusste und von ihnen profitierte, denkt Elff, jetzt sei er aufgeflogen, flieht aus dem Präsidium, indem er aus dem Fenster springt und mit einem Taxi nach Brüssel zum Flughafen fährt. Er erinnert sich an Monsieur Pereira in Mogador, von dem er sich Unterstützung erhofft, und kommt nach einer ewig langen Flug- und Busreise in dieser Stadt an, die heute Essaouira heißt.

Dort fängt ihn noch am Busbahnhof ein Mann namens Karim ab und vermittelt ihm ein Zimmer im großen Haus einer ungewöhnlichen Frau, die Khadija heißt. Sie ist Wahrsagerin und Hüterin eines Bordells in einem und gilt in dem Viertel, wo sie wohnt, bei allen als eine wohlgeachtete und respektierte Instanz.
In einer sehr langen Episode verfolgt Martin Mosebach das Leben dieser außergewöhnlichen Frau von ihrer schwierigen Kindheit bis zur Gegenwart. Mosebach glänzt hier mit seiner von ihm gewohnten ausdrucksstarken und bilderreichen Sprache als orientalischer Märchenerzähler, der, fasziniert von der Welt in Mogador, tief in sie hinabtaucht und sich fast in ihr verliert.

Doch auch die Geschichte des Bauernsohns Karim wird verfolgt, die Beschreibung einer Reise in dessen Heimatdorf, wo eine Verlobung für ihn arrangiert ist und bei der ihn Patrick begleitet, entführt den Leser in eine Welt, deren Sitten und Bräuche uns überwiegend fremd sind.

Und natürlich geht es zwischendurch immer wieder um Patrick Elff selbst, seine Gedanken, seine Ängste, seine Liebe zu seiner Frau Pilar, die er verloren glaubt, und seine voller Hoffnungen unternommenen Versuche, mit Pereira Kontakt aufzunehmen, von dem er sich Hilfe erhofft. Und immer wieder geht es um dessen andere Seite, die sich hinter der Oberfläche verbirgt und der er sich erschrocken stellen muss, erst recht, als er zusammen mit Karim an einer fast gelungenen Vergewaltigung einer Hure Khadjias teilnimmt und aus Furcht vor Verhaftung erneut flieht.

Beide, die zurückbleibende Khadjia, und der in seine Heimat zurückkehrende Elff, haben während der Handlung, die nicht länger als ein paar Wochen umspannt, (man hat aufgrund von Mosebachs Sprache den Eindruck, es seien Monate gewesen), eine Transformation erlebt. Für Khadija nichts Neues, (Mosebach beschreibt mehrere davon), für Patrick Elff aber der Anfang eines völlig neuen Lebens. Vielleicht auch mit anderen moralischen Maßstäben.

"Mogador" ist ein Roman, in dem alle Figuren, auch jene, die hier nicht erwähnt werden, meisterhaft gezeichnet sind. In einer Sprache und mit einer Grammatik, die den Rezensenten jedenfalls auf jeder Seite neu gefangengenommen und begeistert hat. Mosebachs anspruchsvoller Stil macht sein Buch nicht zur schnellen Lektüre, dennoch kann man es vor lauter stiller Begeisterung kaum aus der Hand legen.

(Winfried Stanzick; 08/2016)


Martin Mosebach: "Mogador"
Rowohlt, 2016. 368 Seiten.
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