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Bei Kerzenschein und Gaszpacho auf dem Balkon erzählte ihr Juan die lückenhafte Version von seiner ersten Begegnung mit Gustav auf der Festung in Granada. Ausserhalb der Alhambra, ein maurisches Bauwerk, selbstverständlich zu ihr gehörend, wie ein für die Ewigkeit bestimmtes Liebespaar, die arabischen Rosengärten el Generalife. Daher führte ein dunkler Gang zum Aussichtsturm, den Juan oft abends durchschritt, um im Anblick der Las Ventas, Plaza de Toros, dem im Fluss Rio Darro sich spiegelnden Lichtermeer Granadas innezuhalten.
An diesem Ort schien es ihm aber auch selbstverständlich, dass irgendein Mann auf ihn wartete. Mit dem Rücken an einen Orangenbaum gelehnt, fing ein Unbekannter mit einem Bleistift und Block die Szene in den Gassen des Albaicinviertels ein. Er sah zu Juan herüber, grüsste. Neben ihm ein Wasserspeier. Mit der hohlen Hand schöpfte er ein wenig Wasser, spülte den Mund, warf es ins erhitzte Gesicht. Kaum zwei Schritte von Juan entfernt, sagte er in Spanisch mit Akzent: "Me gusto de sus corridas durante la Fiesta Corpus Christi."
"Gracias" und Juan hatte nicht vor mehr zu sagen, drehte sich zu ihm um, sah ihm das erste Mal direkt ins Gesicht. Tropfendes blondes Haar, blaue Augen, makellose Gesichtszüge. Ein Bild vollkommener Schönheit und Reinheit verstörte Juan, weil er seine Jugend verloren hatte und sich nun von ihr bedrängen liess.

Der Fremde holte ein Päckchen Hanf aus seiner Jeansjacke, öffnete es, bot Juan ein Schächtelchen mit Zigarettenpapier an. Juan, der noch nie geraucht hatte, nahm ein Blatt Papier, streute etwas Hanf darauf, versuchte sich den ersten Joint seines Lebens zu drehen. Es misslang. Der Fremde lachte. Ein helles, jungenhaftes Lachen, es klang wie eine Befreiung. Er machte einen Schritt auf Juan zu:
"Nehmen Sie meinen Joint!"
Juan spürte die erwartungsvolle Hitze seines jungen Körpers, den Geruch von Hanf. Er berührte, als er nach dem Joint griff, mit den Fingerspitzen seine kühle Hand, unter deren Haut Wärme war. Der Fremde stahl ihm ein Gefühl der inneren Sicherheit. Zwar wusste Juan, dass Matadoren wie er Objekte der Begierde auch von anderen Männern waren, doch nur in der Arena. Hier befand er sich auf dem offenen Feld der Lust, die der aufkeimenden Phantasie keine Zügeln verlieh. Kurz zitterte er, ehe er sich im Fragen nach Allgemeinem wieder fing, erfuhr, dass der Fremde Schweizer war. Nach dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela nun Andalusien bereiste und in einer schrecklichen Lage steckte.
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Aus "Die Liebe zu dritt" von Jürg Kilchherr
Der erotisch-politische Roman
Als der Schweizer Kunstmaler Gustav ins Leben von Antonia, der Politjournalistin, und Juan, dem Stierkämpfer, tritt, beginnt für die drei eine Reise durch Spanien, die Schweiz, Sizilien und Sri Lanka zu den Grenzbereichen der Liebe, Erotik, des Genusses vor dem Hintergrund des aufkommenden Terrorismus in Europa.
Ein Roman über das Entdecken der Sinnesfreuden der Geschlechter rund um den Globus und eine Männerfreundschaft, die alles und jeden in Frage stellt. Ein Zeitspiegel über das junge 21. Jahrhundert und die Befindlichkeit von Menschen auf der Suche nach Identität.

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