Kai Weyand: "Schiefer eröffnet spanisch"


Ein tragikomischer Roman über den Lehreralltag

In seiner Stammkneipe, dem "Schmalen Wurf" sitzt er, der namenlose Ich-Erzähler in Kai Weyands Roman, und spielt an seinem batteriebetriebenen Schachcomputer, als ein Mann plötzlich an seinem Tisch stehenbleibt. Als Detektiv, der sich mehr schlecht als recht mit Aufträgen betrogener Ehefrauen und um ihre jugendlichen Kinder besorgter Eltern über Wasser hält, ist er einiges gewohnt und hat gelernt, in Sekundenschnelle eine Entscheidung zu treffen. Er hat sich gerade dafür entschieden, den fremden Mann zu ignorieren, als dieser unvermittelt vorschlägt, eine Partie Schach zu spielen.

Sie spielen gegeneinander, und der Fremde zeigt sich haushoch überlegen. Als sie Stunden später nach Hause gehen, (sie haben einen gemeinsamen Weg), stellt sich heraus, dass der bisher unbekannte Schachspieler Schiefer heißt und dem erzählenden Detektiv schräg gegenüber wohnt. Der kann Schiefer sozusagen direkt in die Wohnung blicken. Sie lernen sich kennen und spielen wiederholt Schach gegeneinander.

So geht das einige Jahre lang. Schiefer liebt die Musik, vor allem Jimi Hendrix, und spielt selbst noch als Hochzeitsmusiker. Dort ist Hendrix allerdings weniger gefragt. Schiefer hat erhebliche Alkoholprobleme: Ohne ein bis zwei Flaschen Wein beim Schachspiel geht gar nichts. Trafen sich die beiden Bekannten zunächst alle paar Wochen einmal, steht Schiefer am Ende fast täglich mit einer Flasche in der Hand vor dem Fenster des Detektivs. Plötzlich bricht diese Routine ab.

Nachdem sich Schiefer einige Tage nicht gemeldet hat, ruft er den Erzähler an und schildert ihm aufgeregt ein Problem. Er ist seit Jahren als Lehrer frühpensioniert und knapp bei Kasse. Deshalb hat er überlegt, ein Zimmer seiner Wohnung unterzuvermieten.
Seine Wahl ist auf einen jungen Mann namens Theo Mal gefallen. Alles sei soweit gut gegangen in den Mietverhandlungen, berichtet Schiefer atemlos, bis er ihn nach seinem Beruf gefragt habe. Er sei Lehrer, habe Theo Mal geantwortet, und trete bald eine neue Stelle an. Da sei Schiefer schwarz vor Augen geworden. Sein eigenes, wenig ruhmreiches Berufsschicksal steht ihm mit diesem neuen Mieter vor Augen - dunkel und drohend.

Schiefer zeigt ein sich fast besessen entwickelndes Interesse an diesem jungen Mann, der sich, gut ausgebildet und mit hoher Motivation versehen, anschickt, in der Schule des Viertels eine Klassenführung zu übernehmen. In zahllosen Gesprächen, die die beiden Schachfreunde vor, während und nach ihren Partien führen, wird Schiefers Bedürfnis, alles über Theo Mal zu erfahren, immer größer, zumal ihn der Detektiv dabei unterstützt. Sein erkenntnisleitendes Interesse daran ist dunkel, später wird deutlich, dass er für Schiefers geschiedene Frau, mit der er Kontakt aufnimmt, Gefühle entwickelt, die er aber nicht mir ihr auslebt. Als er Schiefer fragt, ob dieser schon einmal von einer "teilnehmenden Beobachtung" gehört habe, ist der Handel unausgesprochen perfekt. Der Detektiv unterstützt Schiefer beim Ausspionieren des Junglehrers. Der wiederum, man hat es die ganze Zeit schon kommen sehen, scheitert, in Krawatte und Anzug vor seine Klasse tretend, mit jeder Woche mehr und ist bald schon das psychische Wrack, in dem Schiefer seine eigene Geschichte wieder erkennt.
Immer wieder benutzten die beiden Schachfreunde die Metapher vom Hamster in seinem Laufrad und denken darüber nach, wie es zu einer solchen Entwicklung kommen kann; Schiefer will begreifen, endlich begreifen, was damals geschehen ist, und seine Ehe hat zerbrechen lassen. Beim Detektiv ist es wohl eher das Motiv, das die Schule und das Schulsystem gänzlich in Frage stellt.

Die Beobachtungsmethoden werden immer radikaler, auch ungesetzliche zählen dazu, und irgendwann weihen sie Theo Mal in ihre konspirativen Aktivitäten ein. Der versucht es daraufhin mit einer ganz anderen Taktik. Hier hat das Buch seine amüsantesten Stellen, beobachtet haarscharf die Situation an deutschen Schulen und wendet sie zynisch in Sarkasmus.
Eine besondere Rolle in diesem unterhaltsamen Roman über Schule, Erschöpfungszustände und Schach spielt ein vom Detektiv "Ketchup" genannter Obdachloser, der über die ganze Sache mehr weiß, als die beiden Schachfreunde vermuten, und der am Ende die Lösung gefährdet, die der Detektiv für das ganze Problem anvisiert.

Fazit:
Kai Weyand hat mit "Schiefer eröffnet spanisch" einen tragikomischen Roman über den Lehreralltag sowie dazugehörige Probleme und die katastrophalen Zustände an vielen Schulen vorgelegt.

(Winfried Stanzick; 09/2008)


Kai Weyand: "Schiefer eröffnet spanisch"
Wallstein Verlag, 2008. 215 Seiten.
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Kai Weyand wurde 1968 geboren. Für "Am Dienstag stürzen die Neubauten ein. Erzählungen" (Wallstein, 2005) ist er mit dem 1. Preis beim "open mike" der "LiteraturWERKstatt Berlin" ausgezeichnet worden; außerdem: "Irseer Pegasus" und "Bolero-Literaturpreis Zürich".

Ein weiteres Buch des Autors:

"Am Dienstag stürzen die Neubauten ein. Erzählungen"

Kai Weyands Erzählungen führen mitten hinein ins Leben, das merkwürdigerweise wie ein Film wirkt. Oder umgekehrt.
Kai Weyands Helden sind schräge Vögel, denen fast in jeder Lebenslage irgendein Film einfällt, in dem sie Muster für ihre eigene Situation entdecken, natürlich mit einer Heldenrolle für sich selbst. Der Gesichtsausdruck wird zum Beispiel souverän auf "Mach dir um mich keine Sorgen, Kleines!" getrimmt, aber das Vertrackte ist: Das Gegenüber kennt all diese Drehbücher und die Rollenverteilungen auch, und mitunter wechselt es mit der Antwort gar in eine andere Produktion, so dass man nie ganz sicher sein kann, ob etwas so gemeint ist, wie es gesagt wird. Ohnehin kaschieren die Zitate und Anspielungen ja nur, dass es gewaltige Bruchstellen gibt, in denen hemmungslos romantische Sehnsüchte sichtbar werden, gerade wenn Krisen in den Liebesgeschichten nicht mehr einfach durch Missverständnisse erklärbar sind.
Der Autor inszeniert dieses Auseinanderklaffen zwischen der weniger großartigen Wirklichkeit und den schillernden Bildern von ihr mit Tempo und Komik. Zwischen Schweigen und Gerede bringt er seine Handlungen voran und macht aus langweiligen Dienstagen schicksalsträchtige Daten. (Wallstein Verlag)
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