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  Eine bunte Schlange lag da, in vier Stücken. Im letzten Stück pochte 
  noch eine Spur von Leben, im ersten - etwas unter dem Kopf - war eine ziemlich 
  große Ausbuchtung, in der vielleicht auch noch etwas pochte ... Evtha 
  hatte die Schlange und die Schlange den Vogel erledigt. Und über allem 
  lag jene Stille, jenes Gefühl des Geschehenen, etwas, das zwischen 
  Erleichterung und Widerruf schwankt. 
  Der Nachbar schlotterte wie ein 
Sünder 
  am Tag des Jüngsten Gerichts.
  "Nun hast du sie getötet, laß uns jetzt gehen", sagte er, 
  "ich kann so was nicht sehen, das macht mich krank --- mir ist kalt."
  "Geh ruhig", sagte sie, "ich bleibe noch etwas."
  "Wie? Ob noch eine kommt?" Ihm gruselte. "Reicht dir diese nicht?"
  Evtha machte eine Bewegung, die sie vierzig Jahre jünger aussehen ließ. 
  Sie schob ein paar trockene kleine Äste zur Seite, kniete sich auf die 
  Erde und streichelte mit zwei Fingern den zerquetschten Kopf der Schlange.
  "Erbarme Dich meiner, o Gott, denn Menschen schnauben wider mich ... 
  den ganzen Tag mich bekriegend, zerschlug er mich, den ganzen Tag ... strecke 
  Deine Hand aus von der Höhe des Tages, erbarme Dich meiner!"
  Sie weinte.
  Er schlotterte, als hätten ihn alle Fieber der Welt befallen, er konnte 
  es nicht fassen, hilfesuchend blickte er sich um.
  "Viele bekriegen mich bitter, ich aber habe meine Hoffnung in dir ... 
  unter dem 
  Schatten Deiner Flügel, 
  bis die Gesetzlosigkeit vorbei ist. Meine Tränen hebst du bei Dir auf ... 
  Sie haben meinen Füßen ein Netz gestellt, niedergebeugt meine Seele 
  ... erbarme Dich meiner."
  Er konnte es überhaupt nicht fassen: Sie beweinte die Schlange, die sie 
  mit den eigenen Händen getötet hatte, sie streichelte sie. Und mehr 
  als das: Sie sprach an ihrer Stelle! Dem wenigen nach zu urteilen, was er begreifen 
  konnte, sprach sie an Stelle der 
Schlange! 
  
  "Du bist verrückt geworden, du bist übergeschnappt, laß 
  uns gehen", sagte er wieder, völlig erschreckt. "Hast du .... 
  dieses Erbarmen-Erbarmen vorhin, hast du es gerufen? War das deine Stimme? 
  Es ist mir durch und durch gegangen ... wessen Stimme sonst, jetzt verstehe 
  ich - du tötest die Schlangen und rufst dann Erbarmen! 
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(aus 
"Und beim Licht des Wolfes kehren sie wieder" von Siranna Sateli;
Kiepenheuer 
& Witsch Verlag)