Leseprobe:

(...) Ich entdeckte, dass sie gerne Schuhwichse naschte. Wenn jemand eine Dose offen stehenließ, steckte sie stundelang den Schnabel hinein. Ich glaube, der Geruch berauschte sie, denn danach torkelte sie stärker als ein Saufbold auf dem Heimweg vom Gelage. Ich erbot mich netterweise, alle Schuhe des Hauses zu putzen. Meine Absicht war natürlich, sie zu quälen. Ich setzte mich auf einen Hocker, mitten in einen Berg von Schuhen, und stellte eine große Dose schwarzer Schuhcreme weithin sichtbar daneben.
Man kann sich leicht vorstellen, welche Versuchung diese Dose für Marie Antoinette darstellte. Gleichwohl wusste sie, dass das Gefäß von ihrem ärgsten Feind bewacht wurde, da nutzte auch meine Verstellung nichts. Ich konnte sehen, wie ihre Nase hinter allen Ecken und Kanten des Hauses hervorspähte und in ihrem unentschlossenen Blick die Gier loderte. Schließlich vermochte das Untier sich nicht mehr zu beherrschen und kam herbeigeschlichen, überzeugt, dass die Schuhputzaktion meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nähme.
Das war natürlich genau, was ich beabsichtigt hatte. Ich griff sie an, sobald sie den Kopf in die Dose geschoben hatte. Ein tüchtiger Hieb auf den blanken Rücken und Marie Antoinette verwandelte sich in eine Zulu-Schildkröte, schwärzer als Kohle. Sie flüchtete in heller Entrüstung. Nur eine entartete Schildkröte konnte so springen. Was für Sprünge!
Es blieb leider nicht aus, dass Marie Antoinette nach solchen Überrumpelungsmanövern auf Revanche sann: Aus Rache pisste sie in mein Bett. 

(...)

In meinem Zimmer angekommen, zündete ich mir eine Zigarette an. Ich wollte mich gerade aufs Bett legen. Und wen sehe ich? Marie Antoinette natürlich, auf dem Kopfkissen und in Pissbereitschaft. Ich rollte eine eine Zeitung zu einer Papierkeule. Diesmal war ich entschlossen, sie zu Schildkrötenpüree zu schlagen.
Bei ihrer Flucht sprang sie vom Bett auf den Tisch und kurz darauf krabbelte sie über die Schreibmaschine. Reingefallen! Sie blieb zwischen den Tasten hängen. Ich brachte die Papierrolle in Anschlag und war drauf und dran, sie gründlich durchzuwalken, als ich bemerkte, dass in der Maschine ein Blatt steckte. Durch einen verhexten Zufall hatten Marie Antoinettes Beine etwas geschrieben:

sSssehrr guut

Ich schaute schon nachsichtiger auf die arme Marie Antoinette, die zwischen den Tasten feststeckte. Es war erstaunlich, aber ich erinnerte mich schon nicht mehr an den Auslöser für unseren Krieg. Wer weiß. Mag sein, dass wir uns die ganze Zeit nur gegen die Welt aufgelehnt hatten, sie als Schildkröte und ich als Schriftsteller.
"Sehr gut", hatte Marie Antoinette gesagt, und damit hatte sie recht. War es wichtig, dass meine Geschichte die eines anderen war? Bestimmt ebenso wenig wie die Tatsache, dass Marie Antoinettes Panzer eine Attrappe war. Ich war deswegen nicht minder ein Schriftsteller, und der Holzpanzer ließ sie nicht weniger eine Schildkröte sein.
Statt sie mit der Zeitung windelweich zu prügeln, nahm ich sie mit in die Küche, um gemeinsam ein Glas zu heben. Das heißt, ich einen Whisky und sie Schuhputzcreme.
(Manch einer wird sich fragen, was aus Marie Antoinette geworden ist. Diese Frage lässt sich leicht beantworten. Sie wohnt bei mir. Wir leben seit 1955 zusammen, als Frau MacMahon sie mir vererbte. Der Tierarzt meinte, dass sie zu einer Schildkrötenart gehört, die dreihundert Jahre alt werden kann. Wenn ich tot bin, wird sie alle Figuren dieser Geschichte überlebt haben. Witzig.)


(Aus dem Roman "Pandora im Kongo" von Albert Sánchez Piñol.)