(...) Als ich die Küsten entlangging, beobachtete ich am gegenüberliegenden Ufer an einer seichten Stelle Chinesen, die bis zu den Knien im Wasser wateten und Stangen in der Hand hielten. Sie waren so beschäftigt, dass sie uns erst bemerkten, als wir schon ganz dicht neben ihnen standen. Bis zum Gürtel nackt und mit aufgekrempelten Hosen gingen sie vorsichtig durch das Wasser und und durchsuchten den Meeresgrund. Manchmal blieben sie stehen, ließen ihre Stangen langsam ins Wasser und warfen etwas ans Ufer - essbare Miesmuscheln. Die Stangen hatten an einem Ende ein kleines, kellenförmiges Netz und am anderen einen Eisenhaken. Sah der Chinese eine Muschel, so riss er sie mit dem Haken vom Boden los und holte sie dann mit dem Netz heraus. Und die Chinesen am Ufer warfen die Muscheln sofort in einen Kessel mit heißem Wasser. Die sterbenden Schalentiere öffnen dann von selbst ihre Schalen, und ihr Inhalt wird mit Messern ausgenommen und gar gekocht.

Ich setzte mich eine Weile auf einen Stein und sah aufs Meer hinaus. Plötzlich hörte ich links von mir Rufe. Die Chinesen waren offensichtlich bemüht, irgendein Tier ans Ufer zu ziehen, griffen es an, fürchteten sich jedoch zugleich und konnten es doch nicht lassen. Ich lief hin. Das Tier war ein Riesentintenfisch. Mit seinen starken Saugarmen klammerte er sich an den Steinen fest, fuhr manchmal mit ihnen durch die Luft und stürzte dann geschwind in eine Richtung, um zum freien Meer durchzubrechen. Der riesige Krake war so dicht am Ufer, dass ich ihn genau sehen konnte. Seine Farbe veränderte sich andauernd, bald war er bläulich, bald rot, dann hellgrün, grau oder sogar gelblich. Je näher die Chinesen das Tier zur Sandbank schoben, desto hilfloser wurde es. Schließlich zogen sie ihn ganz an Land. Nun wirkte er nur noch wie ein großer Sack, von dem lange Saugarme hingen, an denen wiederum eine Unzahl von Saugnäpfen saß. Hob er zwei oder drei der Tentakel gleichzeitig hoch, dann war sein großer, schwarzer Schnabel zu sehen. Faszinierend waren aber seine Augen. Nur selten trifft man auf ein Tier, dessen Augen so sehr denen des Menschen gleichen.

Allmählich wurden die Bewegungen des Kraken langsamer. Sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, seine Färbung verblasste. Schließlich war das Tier so still geworden, dass man ohne Gefahr herantreten konnte, und ich vermaß es. Dieses interessante Exemplar wäre jedes Museums würdig gewesen, aber ich hatte kein passendes Gefäß und auch nicht die erforderliche Menge Formalin, deshalb musste ich mich mit einem Stückchen des Fangarms begnügen. Dieses abgeschnittene Stück legte ich in ein Glas zusammen mit den Schalen der Einsiedlerkrebse. Als ich abends den Inhalt des Glases durchsah, fehlten zu meinem Erstaunen zwei Muscheln. Die Saugnäpfe an dem Stückchen Fangarm waren offenbar nicht untätig gewesen.

Abends bewirteten mich die Chinesen mit dem Krakenfleisch. Sie hatten es in einem Kessel in Seewasser gekocht, es sah weiß aus, fühlte sich etwas zäh an und erinnerte im Geschmack ein wenig an Steinpilz. (...)


(Aus "Der Taigajäger Dersu Usala" von Wladimir Arsenjew; 1872-1930)