Die Geschichte von Abu Mohammed dem Faulpelz
(Auszug)


Eines Tages saß Harûn er-Raschîd auf seinem Kalifenthrone, da trat einer seiner jungen Eunuchen zu ihm ein, der eine Krone aus rotem Golde in den Händen trug; die war mit Perlen und Edelsteinen besetzt, mit allen Arten von Rubinen und anderen Juwelen, wie man sie für Geld nie hätte kaufen können. Er küsste den Boden vor dem Kalifen und sprach: "O Beherrscher der Gläubigen, die Herrin Zubaida küsst den Boden vor dir und lässt dir sagen: 'Du weißt, dass sie diese Krone hat machen lassen und dass darin noch ein großer Edelstein fehlt, der die Spitze bilden soll. Sie hat in ihren Schätzen suchen lassen, aber sie hat keinen so großen Edelstein finden können, wie sie ihn wünscht.' " 
Da sprach der Kalif zu den Kammerherren und Statthaltern: "Suchet nach einem großen Edelstein, wie Zubaida ihn wünscht!"
Und sie suchten, aber sie fanden nichts, was ihrem Wunsche entsprach; als sie das dem Kalifen kundtaten, ward er zornig und rief: "Wie kann ich Kalif und König der Könige auf Erden sein, wenn ich nicht imstande bin, einen Edelstein zu beschaffen? Ihr da, fragt bei den Kaufleuten an!"
Sie fragten also bei den Kaufleuten nach, und die sagten ihnen: "Unser Herr und Kalif wird einen solchen Edelstein nur bei einem Manne in Basra finden, dessen Name Mohammed der Faulpelz ist. 
Das meldeten sie dem Kalifen, und der gab alsbald seinem Wesir Dscha'far den Befehl, an den Emir Mohammed ez-Zubaidi, denn Statthalter von Basra, einen Brief zu senden, mit dem Auftrage, er solle Mohammed den Faulpelz bereithalten und mit ihm vor dem Beherrscher der Gläubigen erscheinen. Der Wesir schrieb einen Brief dieses Inhalts und sandte ihn mit Masr
ûr ab. Der begab sich also mit dem Schreiben nach der Stadt Basra und trat zum Emir Mohammed ez-Zubaidi ein.
Nach dem dieser ihn hocherfreut mit allen Ehren aufgenommen hatte, las Masr
ûr ihm das Schreiben des Beherrschers der Gläubigen Harûn er-Raschîd vor. "Ich höre und gehorche!" sprach der Statthalter und entsandte den Masrûr alsbald mit einer Schar seiner Diener zu Abu Mohammed dem Faulpelz. Die begaben sich zu seinem Hause und klopften dort an die Tür.
Einer von den Dienern kam heraus, und Masr
ûr sprach zu ihm: "Sag deinem Herrn, dass der Beherrscher  der Gläubigen nach ihm verlangt."
Nachdem der Diener hineingegangen war und die Botschaft ausgerichtet hatte, kam Abu Mohammed heraus und sah dort vor sich Mas
rûr, den Kammerherrn des Kalifen, inmitten der Diener des Emirs Mohammed ez-Zubaidi. Da küsste er die Erde vor dem Abgesandten und sprach: "Ich höre und gehorche dem Beherrscher der Gläubigen. Doch tretet zuvor bei mir ein!"
Als sie antworteten: "Wir können das nur in aller Eile tun, wie es uns der Beherrscher der Gläubigen befohlen hat; denn er wartet auf dein Kommen", sagte er: "Wartet nur ein klein wenig auf mich, bis ich alles gerüstet habe!"
Nach vielem Drängen und Zureden traten sie mit ihm in das Haus ein; und dort sahen sie zunächst eine Vorhalle, behangen mit Wanddecken aus blauem Brokat, die mit rotem Golde bestickt waren.
Dann befahl Mohammed der Faulpelz einigen seiner Diener, Mas
rûr in das Bad zu geleiten, das sich im Hause befand. Nachdem sie den Befehl ausgeführt hatten, sah sich Mas
rûr in einem Raume, in dem die Wände und der Fußboden aus seltenen, mit Gold und Silber verzierten Marmorplatten bestanden, und in dem das Wasser mit Rosenöl gemischt war. Die Diener eilten geschäftig um Masrûr und sein Gefolge und warteten ihnen in vollendetster Weise auf; und ehe die Gäste das Bad verließen, legten sie ihnen Ehrengewänder aus golddurchwirktem Brokat an. Dann traten Masrûr  und seine Begleiter zu Abu Mohammed dem Faulpelz ein und fanden ihn in seinem Obergemach sitzen; ihm zu Häupten hingen Wandteppiche aus golddurchwirktem Brokat, mit Perlen und Edelsteinen besetzt, und das ganze Zimmer war mit Kissen ausgestattet, auf denen sich Stickereien aus rotem Golde befanden. Er saß auf einem Pfühl, das über ein edelsteinbesetztes Lager gebreitet war. 
Und sowie Masrûr eintrat, hieß er ihn willkommen, ging ihm entgegen und ließ ihn an seiner Seite sitzen. Dann befahl er, den Speisetisch zu bringen; doch als Masrûr den Tisch sah, rief er: "Bei Allah, sogar bei dem Beherrscher der Gläubigen habe ich einen solchen Tisch nie gesehen!"
Und auf dem Tische lagen vielerlei Speisen, die alle in Schüsseln aus vergoldetem Porzellan angerichtet waren.
"Dann aßen und tranken wir", so erzählte Masrûr, "und waren vergnügt, bis sich der Tag neigte; darauf gab er noch jedem von uns fünftausend Dinare, und am nächsten Morgen kleidete man uns in grüne, golddurchwirkte Ehrengewänder und erwies uns die höchsten Ehren."

Als dann aber Masrûr zu Abu Mohammed dem Faulpelz sagte: "Wir können nicht länger so verweilen, da wir den Kalifen fürchten müssen", erwiderte dieser ihm: "O Gebieter, gedulde dich nur noch bis morgen, damit wir uns reisefertig machen können und dann mit euch aufbrechen!"
So blieben sie denn noch den Tag über und verbrachten dort auch die Nacht, bis es wieder Morgen ward.
Nun sattelten die Diener für Abu Mohammed den Faulpelz ein Maultier mit einem Sattel aus Gold, in den mancherlei Perlen und Edelsteine eingelegt waren. Da sagte Masrûr sich: "Ob der Kalif wohl den Abu Mohammed, wenn er in solchem Aufzuge vor ihm erscheint, danach fragen wird, wie er zu diesem Reichtum gekommen ist?"

Darauf nahmen sie Abschied von Mohammed ez-Zubaidi, zogen aus Basra hinaus und reisten ohne Unterbrechung weiter, bis sie zur Stadt Baghdad gelangten. Wie sie dann zum Kalifen eingetreten waren und vor ihm standen, befahl er dem Abu Mohammed, sich zu setzen. Der ließ sich nieder und hub an zu sprechen, wie es sich bei Hofe schickte, indem er sagte: "O Beherrscher der Gläubigen, ich habe ein Geschenk gebracht, um dir zu huldigen; darf ich es mit deiner gnädigen Erlaubnis herbeiholen lassen?"
"Das mag geschehen!" antwortete er-Raschîd. 
Nun befahl Abu Mohammed eine Kiste zu holen, öffnete sie und nahm aus ihr kostbare Geschenke hervor, darunter goldene Bäume, mit Blättern aus weißem Smaragd und Früchten aus rotem und gelbem Hyazinth und aus schimmernden Perlen; darüber erstaunte der Kalif. Darauf ließ der Fremde eine zweite Kiste holen und nahm aus ihr ein brokatenes Prunkzelt hervor, das mit Perlen, Rubinen, Smaragden, Chrysolithen und noch anderen Edelsteinen verziert war; die Pfeiler des Zeltes waren aus frischem indischem Aloeholz; die Säume der Zeltdecke waren mit grünen Smaragden besetzt; und auf den Zeltwänden waren lauter Bilder von allerlei Getier angebracht, Vögel und Tiere der Steppe, und diese Bilder waren mit edlen Steinen verziert, Hyazinthen, Smaragden, Chrysolithen, Ballasrubinen und allerlei Edelmetallen. 
Als er-Raschîd das sah, war er hocherfreut; und darauf sprach Abu Mohammed der Faulpelz zu ihm: "O Beherrscher der Gläubigen, denke nicht, ich hätte dir dies gebracht, weil ich etwas befürchte oder etwas begehre! Ich weiß, dass ich nur ein Mann aus dem Volke bin, ich weiß aber auch, dass diese Dinge niemandem anders gebühren als dem Beherrscher der Gläubigen. Wenn du mit nun Erlaubnis gewährst, so will ich dir etwas von dem zeigen, was ich vermag!"
"Tu, was du willst", sagte er-Raschîd, "wir wollen es uns ansehen!"
Abu Mohammed erwiderte: "Ich höre und gehorche!", bewegte seine Lippen und winkte den Zinnen des Palastes; da neigten sie sich ihm zu. Dann gab er ihnen einen zweiten Wink; da wurden sie wieder aufrecht, wie sie gewesen waren. Darauf machte er Zeichen mit den Augen; da erschienen vor ihm Käfige mit verschlossenen Türen, und nachdem er Worte über sie gesprochen hatte, gaben ihm Vogelstimmen Antwort.
Über all das war er-Raschîd aufs Höchste erstaunt, und er fragte: "Woher hast du alles dies, wo du doch nur als Abu Mohammed der Faulpelz bekannt bist? Ja, man hat mir sogar gesagt, dein Vater sei ein Schröpfer gewesen, der in einem Badehause die Kunden bediente und dir nichts hinterließ!"
Abu Mohammed erwiderte: "O Beherrscher der Gläubigen, höre meine Geschichte; denn sie ist gar wundersam, und seltsam ist's, wie das alles kam. Würde man sie mit Nadeln in die Augenwinkel schreiben, so würde sie allen, die sich lehren lassen, ein lehrreich' Beispiel bleiben!"
Darauf sagte
er-Raschîd: "Erzähle, was du zu erzählen hast, und tu es mir kund, Abu Mohammed!"
Da hub jener an:
"Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, - Allah gebe dir auf immer Ruhm und Macht! - wenn die Leute sagen, ich sei als der Faulpelz bekannt und mein Vater hätte mir kein Geld hinterlassen, so ist das wahr. Mein Vater war nichts Anderes, als was du sagtest: er war ein Schröpfer in einem Badehause. Und ich war in meiner Jugend das faulste Wesen, das man auf dem Angesichte der Erde finden konnte. Ja, meine Faulheit ging so weit, dass ich, wenn ich an heißen Tagen schlief und die Sonne über mich kam, zu faul war, um aufzustehen und von der Sonne in den Schatten zu gehen. So trieb ich es fünfzehn Jahre lang; dann starb mein Vater - Allah der Erhabene hab ihn selig! - und hinterließ mir nichts. Meine Mutter aber diente bei Leuten, und so konnte sie mir zu essen und zu trinken geben, während ich auf der Seite lag. Eines Tages nun begab es sich, dass meine Mutter mit fünf Silberdirhems in der Hand zu mir hereinkam und sprach: 'Lieber Sohn, es ist mir berichtet worden, dass der Scheich Abu el-Muzaffar beschlossen hat, eine Reise nach China zu machen - jener Scheich liebte die Armen und war ein wohltätiger Mann -; also mein Sohn, nimm diese fünf Dirhems und lass uns zu ihm gehen und ihn bitten, dass er dir dafür im Lande China etwas kauft; vielleicht wird dir daraus durch die Güte Allahs des Erhabenen Gewinn erwachsen.'
Ich war zu faul, um aufzustehen; aber da schwor sie bei Allah, wenn ich nicht aufstände, und mit ihr ginge, so wolle sie mir nie mehr etwas zu essen oder zu trinken geben, und sie wolle nie mehr zu mir hereinkommen, sondern mich vor Hunger und Durst sterben lassen. Als ich ihre Worte vernahm, o Beherrscher der Gläubigen, wusste ich, dass sie das tun würde, da sie ja meine Faulheit kannte.

Also sprach ich zu ihr: 'Richte mich auf!' Da richtete sie mich auf, während ich Tränen im Auge hatte; dann sagte ich: 'Bring mir meine Schuhe!' Und als sie mir die gebracht hatte, fuhr ich fort: 'Zieh sie mir über die Füße!' Nachdem sie mir die Schuhe angezogen hatte, sagte ich zu ihr: 'Heb mich vom Boden auf!' Sie tat es, und dann sagte ich: 'Stütze mich, damit ich gehen kann!' Da stützte sie mich, und so ging ich denn mit ihr immer weiter dahin, während ich über meine Säume stolperte, bis wir zum Ufer des Stromes gelangten. Dort begrüßten wir den Scheich, und ich sprach zu ihm: 'Oheim, bist du Abu el-Muzaffar?' 'Zu Diensten!', erwiderte er, und ich fuhr fort: 'Nimm diese Dirhems und kaufe mir dafür etwas im Lande China; vielleicht wird Allah mir daraus Gewinn erwachsen lassen.' 
Nun fragte der Scheich Abu el-Muzaffar seine Gefährten: 'Kennt ihr diesen Jüngling?'
'Jawohl', gaben sie zur Antwort, 'der da ist bekannt als Abu Mohammed der Faulpelz; aber jetzt haben wir zum erstem Male gesehen, dass er aus seinem Hause herausgekommen ist.'
Dann fuhr der Scheich fort: 'Mein Sohn, gib die Dirhems her - Allah der Erhabene segne sie!'
Darauf nahm er das Geld von mir entgegen und sprach: 'Im Namen Allahs!'

Nun kehrte ich mit meiner Mutter nach Hause zurück, während der Scheich Abu el-Muzaffar sich auf die Reise begab, zusammen mit einer Schar von Kaufleuten; und sie reisten immer weiter, bis sie im Lande China ankamen. Dort machte der Scheich seine Verkäufe und Einkäufe; und danach traten sie die Rückreise an, er und seine Begleiter, sobald sie ihre Geschäfte erledigt hatten. Als sie aber drei Tage auf dem Meere dahingesegelt waren, sagte der Scheich plötzlich zu seinen Reisegenossen: 'Haltet das Schiff an!'
Wie die Kaufleute fragten: 'Was willst du?' erwiderte er: 'Wisset, ich habe den Auftrag vergessen, den ich für Abu Mohammed den Faulpelz übernommen hatte. Lasst uns also umkehren, damit wir etwas für ihn kaufen, durch das er etwas verdienen kann!'
Da riefen sie: 'Wir bitten dich um Allahs des Erhabenen willen, kehre nicht mit uns um! Wir haben doch schon eine so unendlich lange Strecke durchfahren, und wir haben auf ihr schon gewaltige Schrecken und reichliche Mühsale ausgehalten.'
Aber er entgegnete: 'Es ist nicht anders möglich, wir müssen umkehren.'
Nun sagten sie: 'Nimm von uns ein Vielfaches von dem Gewinne der fünf Dirhems doch kehr nicht mit uns um!'
Er hörte auf sie, und sie sammelten eine beträchtliche Summe für ihn. ... weiter ...


Aus "Sindbad der Seefahrer und andere Märchenabenteuer aus den 1001 Nächten"; 11./12. Jahrhundert, Bagdad.
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